FLÄMISCH (?) um 1520

TRIPTYCHON MIT DER KREUZIGUNG CHRISTI

Öl auf Holz.
83,5 × 130 cm (ausgeklappt)

AUKTION 410 // LOT 550
SCHÄTZPREIS € 80.000 –100.000

Auf der Mitteltafel die Kreuzigung Christi mit Maria und den Hll. Maria Magdalena und Johannes dem Evangelisten. Auf den Außenflügeln die Hll. Barbara und Jakobus d. Ä., jeweils mit Stiftern. Auf den geschlossenen Flügeln Maria mit Kind und Hl. Anna Provenienz: Phillips, London, Auktion 18. Dezember 1984, Kat.-Nr. 60 (dort als Umkreis Hans von Kulmbach und mit anderem Rahmen angeboten. Dieser Rahmen bezeichnet „In Memoriam Charles Hadfield ...“). – 1984 – 1990 Colnaghi, London – 1994 von Galerie Henrich, München, an die jetzigen Einlieferer als „flämisch um 1520“ verkauft. Seither Süddeutsche Privatsammlung.


ALTAR TO GO


 Von Barbara Vinken Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Unser Altar, zu klein für eine Kirche, aber für Reisen praktisch, hat wohl der persönlichen Andacht in einer Hauskapelle gedient. Er verkündet die frohe Botschaft, stellt die Heilsgeschichte vor Augen und preist zugleich die Malerei als Medium der Verkündigung. Nicht allein auf das Was, auf das Wie kommt es an. Auf den beiden Flügeltüren, die sich auf die Zeitenwende einer durch Christi Liebesopfer erlösten Welt hin öffnen, sehen wir das Vorspiel der Erlösung. 

In diesem Bild ist nicht wie üblich die Verkündigung als Einsatz des Heilsgeschehens gewählt, sondern eine Entfaltung des Motivs der „Maria Selbdritt“: auf der rechten Flügeltür sitzt die Marien-Mutter Anna mit dem Buch im Schoß. Sie war es, die Maria das Lesen beibrachte. Anna bietet Maria und ihrem Sohn eine Frucht an, Verdeutlichung der geistigen Speise der Worte des alten Testamentes. Ihre Tochter, so geschult, empfängt das Wort im Herzen und ergreift es so vollkommen, dass das Wort lebendiges Fleisch wird. Das Jesuskind, das empfangen begriffene, fleischgewordene Wort sitzt auf Mariens Schoß und weist auf die Dinge, die da kommen sollen:

Der Kelch wird nicht an ihm vorübergehen, er wird seine Sendung vollbringen, seine Mutter als Schmerzensmadonna unter dem Kreuz des Sohnes stehen, der ihr Johannes als neuen Sohn zuweist. Die Liebe war stärker als der Tod. 

 

 

 

Auf den geschlossenen Flügeln sind
Maria mit Kind und die Hl. Anna zu sehen

Außen auf den Flügeltüren finden wir Illusionsmalerei der Grisaille im zeitgenössischen 16. Jahrhundert. Die Zweiteilung der Verkündigung wird spiegelverkehrt aufgenommen: Anna sitzt rechts, während der Engel der Verkündigung sonst links ins Bild zu der lesenden Maria kommt. Flankiert werden Anna und Maria von zwei golden glänzenden Säulen mit üppigen Kapitellen, denen beider unbeflecktes Empfangen eingetragen erscheint. Die Säulen wirken so, als würde sich der Marmor zum Fuße hin in einen bauchigen Wasserkrug verwandeln. Die unbefleckte Reinheit beider Mütter wird durch den reinen, ganz durchsichtigen, hauchdünnen Glasbauch der Säule, der wie ein Gefäß auf dem Fenstersims zu stehen scheint – ein trompe l’oeil – versinnbildlicht.

Durch die Ochsenaugen unter der Decke betrachten Putti, gerahmt von Grotesken, wie sie die Renaissance so liebte, wohlgefällig das Wunder, das sich vor ihren Augen farbig ereignet. Sie winden Schmuckgirlanden aus Früchten, Blumen und Blättern, die sich rotgrün von der Grisaille abheben. Der Fortgang des Erlösungsgeschehens wird ästhetisch, dem Medium der Malerei angemessen, sichtbar als ein Fortschreiten der Schönheit. Alles wird heiterer, die Strenge und die Hässlichkeit der todesverfallenen Welt wird im Gemälde überwunden. 

Anna, in lindgrüne und lachsfarbene Falten gehüllt, ist noch wenig lieblich; ein undurchsichtiger Schleier verdeckt ihre Haare und umrahmt streng ihr Gesicht. Maria thront natürlich in Blau und Wasserblau, einer kostbaren, aus Lapislazuli hergestellten Farbe. Ihre Haare, die sich golden locken, sind wie zur Zierde mit einem durchsichtigen Schleier eher geschmückt als versteckt. Die Goldlocken bringen Marias Teint zum Strahlen, und der goldgelockte Jesusknabe in ihrem Schoß leuchtet ebenso. Die Durchsichtigkeit des Schleiers zeigt das großartige Können des Malers. Es zeigt sich einmal mehr im Decolleté, das von einem durchsichtigen Schleier geziert ist. Zwischen den doppelt unbefleckten Flügeln des Vorspiels liegt die Mitte des Erlösungsgeschehens. 

Alles ist auf die Kreuzigung auf dem Schädelberg vor einer erhabenen Landschaft zentriert. Auf den Flügeltüren bringen die beiden Namenspatrone der Stifter, die heilige Barbara und der heilige Jacobus, die Zeitgenossen zur knienden Anbetung. Mit ihnen vertieft sich der Betrachter in das dargebotene Leiden. Als Heilige sind Barbara und Jacobus Zeugen der Erlösung, die in den Namen der Stifter weiterwirkt. Aber das Böse schiebt sich surreal mit ins Bild und scheint noch nicht gebannt.  

Die wiederhergestellte Schönheit der Schöpfung zeigt der flämische Maler am eindrücklichsten in Maria Magdalena, die zu Füßen des Kreuzes im Staub inmitten von Knochen kniet. Sie ist dem Herrn am nächsten. Den Kreuzesstamm hält sie umfasst, ihre Hand erreicht die durchbohrten Füße des Gekreuzigten. Sie trägt ein prächtiges gold-schimmerndes Brokatgewand, tailliert und korsettiert, mit modisch geschnittenen, in seidigem Altrosa gefütterten schwarzglänzenden Ärmeln. Ihre Haube mit den Haarbändern ist raffinierteste Handarbeit. Im Gegensatz zu Johannes und Maria, die wie zeitlos in Tücher gehüllt sind, ikonographisch klassisch (sie in blau, er in rot), ist Maria Magdalena wie eine Zeitgenossin der Stifterin gekleidet.

Vor ihr steht ein Salbgefäß in aufwendiger Goldschmiedearbeit, wie sie in Flandern nicht prächtiger sein konnte. In Maria Magdalena zeigt sich das Kunsthandwerk auf der Höhe der Zeit; es stand mit der Kunst auf Augenhöhe. Solche kostbaren Stoffe, solche duftenden Salben, solche Wunderwerke der Goldschmiedearbeit waren so begehrt wie Gemälde und teurer. Neben Magdalena liegt ein Teil des Kleides Magdalenas in schimmernden weißen Falten, die, wie das der Erdenschwere enthobene, der Verklärung entgegen flatternde Lendentuch anzeigt, den gesalbten Leichnam Jesu erwartet. Magdalena ist ein Kunststück, ein Fest für die Sinne. Wir meinen, diesen Stoff zu berühren, die duftenden Salben zu riechen. In Maria Magdalena unter dem Kreuz verheißt dieser Altar die erlöste Welt. Ihre von Menschenhand offenbarte Schönheit trägt die Handschrift Gottes, der in diesem Heilsgeschehen von allem Übel erlöst. 


ALS DIE BÜRGER STIFTEN GINGEN


Ab dem Spätmittelalter findet sich eine Neuerung bei den Darstellungen auf Ältären. Neben Bibelszenen und Heiligen gesellen sich nun neue Figuren in das Bild, die Stifter. Mit dem Zeigen ihrer Person stellten diese ihren Reichtum und ihre Macht zur Schau. Sie zeigen sich als Teil der Heilsgeschichte, näher an Gott als jene, die vor dem Altar stehen. Nicht nur Personen des Adels und des Klerus ließen sich so darstellen, auch vermögende Bürger stifteten, insbesondere in reichen Handelsstädten. Daher verwundert es nicht, dass diese Entwicklung in den Niederlanden und dem heutigen Belgien mit Werken Jan van Eycks oder Rogier van der Weydens seinen Ausgang genommen hat. Das Medium, das sich für die Stifterdarstellungen besonders geeignet zeigte, war das Triptychon. Das geöffnete Triptychon zeigt mittig die Hauptszene, die als Thema alleine funktioniert. Die Seitentafeln stehen in Verbindung mit dieser Hauptszene und zeigen oft Heilige oder andere biblische Gestalten in Kontext mit den Stiftern. Nicht nur in Kirchen fand das Anwendung, sondern auch in kleineren Formaten als Haus- und Reisealtäre. Besonders in den reichen Niederlanden und im Burgund waren um 1500 solche privaten Andachtsaltäre Standard für das gehobene Bürgertum, weshalb die Produktion von Altären in dieser Größe dort sehr weit verbreitet war. Diese Triptychen sind heute nur noch selten in ihrer Vollständigkeit erhalten, was vorliegendes Werk nochmals besonders auszeichnet. 

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