FREUT EUCH UND JUBELT
NACH 15 JAHREN HIN UND HER: NEUMEISTER VERSTEIGERT DIE „BERGPREDIGT“ DES ANTWERPENER BAROCKMALERS FRANS FRANCKEN D. J.

FRANS FRANCKEN D. J.
1581 Antwerpen–1642 ebenda
BERGPREDIGT
L. u. signiert „D° FFRANCK IN. F.“.
Rücks. Reste eines Sammlungssiegels (lediglich die Bekrönung des Wappens ist noch erkennbar).
Öl auf Holz.
33 × 79 cm
AUKTION 410 // LOT 558
SCHÄTZPREIS € 40.000 – 60.000
DIE ODYSSEE DER BERGPREDIGT
Von Dr. Helga Puhlmann und Dr. Stephan Klingen
2008 wurde in der BR-Fernsehsendung „Kunst & Krempel“ die „Bergpredigt“ des Antwerpener Barockmalers Frans Francken (1581–1642) vorgestellt. Ein Münchner Kunsthistoriker erkannte das Gemälde als eines der Bilder, die in der Nacht auf den 30. April 1945 aus dem „Führerbau“ der NSDAP gestohlen wurden. Mit dem Fernsehauftritt begann für das Gemälde eine Odyssee, die mit der Versteigerung am 20. September 2023 bei NEUMEISTER in München nach 15 Jahren nunmehr ein gutes Ende finden kann.
In den Wirren vor dem Einmarsch der Amerikaner in München verschwanden beim so genannten „Führerbau-Diebstahl“ mehr als 600 hochwertige Kunstwerke, gekauft oder geraubt u.a. für das so genannte „Führermuseum“, das Hitler in Linz geplant hatte. Rund 100 von ihnen tauchten nach dem Krieg wieder auf, doch der überwiegende Teil ist bis heute verschwunden: einer der größten und bis heute nicht aufgeklärten Kunstdiebstähle des 20. Jahrhunderts. Nach der Plünderung befand sich die „Bergpredigt“ von Frans Francken im Besitz eines Münchner Bürgers, der sie seiner Tochter zum Auszug in eine eigene Wohnung schenkte, die von der Herkunft und Geschichte des Gemäldes nichts ahnte. Der Sohn der Beschenkten präsentierte das Bild bei „Kunst & Krempel“, im September 2009 wurde es durch das Bayerische Landeskriminalamt sichergestellt.
Asservatenkammer, anschließend im Depot der Pinakotheken in München, während man versuchte, die ursprünglichen Besitzer ausfindig zu machen. Belegt ist durch Quellenmaterial in Deutschland und Frankreich, dass der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt die Holztafel mit dem ungewöhnlichen Querformat im Herbst 1943 im besetzten Frankreich für 7.500 Reichsmark (150.000 Franc) erstanden und für 10.000 Reichsmark an den Stab des „Führermuseums“ in Linz verkauft hatte.
Fünf Jahre nach der Sicherstellung machten die Nichten des inzwischen ebenfalls verstorbenen Sohnes als Erbinnen die Herausgabe des Gemäldes gerichtlich geltend, das sich immer noch in der Obhut des Bayerischen Landeskriminalamtes befand.
Eine vermeintliche Klärung der Provenienz brachte dann eher Verwirrung in die ohnehin schon komplizierte Angelegenheit: Als Erwerbung für das „Führermuseum“ in Linz war das Bild Eigentum des Deutschen Reiches und in dessen Rechtsnachfolge der Bundesrepublik Deutschland. Damit fiel das Kunstwerk in die Zuständigkeit des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, in dessen Verantwortung nun Recherchen aufgenommen wurden. Hier glaubte man schnell fündig geworden zu sein, weil auf zwei Schätzlisten zur Vermögensanmeldung jüdischen Besitzes bei der Sammlerin Vally Honig aus Wien eine „Bergpredigt“ von Frans Francken genannt war. Da das einschlägige Werkverzeichnis zum Künstler nur ein einziges Gemälde mit diesem Thema nennt, wurde das Bundesamt zu dem Schluss verleitet, das Werk aus der Sammlung von Vally Honig mit dem aus dem „Führermuseum“ zu identifizieren. Damit musste das Bild als ein klarer Fall von Raubkunst gelten, da die gesamte Sammlung Honig in Österreich als durch die Gestapo entzogen eingestuft wird. Nun könnte man meinen, dass damit die Verantwortung der Bundesrepublik für das einer jüdischen Familie entzogene Bild auf der Hand läge! Aber nein – im Gegenteil, das zuständige Amtsgericht argumentierte genau anders herum: Weil die „Bergpredigt“ entzogen wurde, habe sich das Gemälde nie im rechtmäßigen Eigentum des Reiches befunden – und daher könne der Bund heute auch kein Recht an dem Bild geltend machen.
Die öffentliche Hand – verkörpert durch Exekutive und Judikative – hatte sich damit ihrer Verantwortung für das Gemälde entledigt und delegierte diese, einschließlich der nun im Raum stehenden Behauptung, es handele sich um NS-Raubkunst, an die in ihr Eigentumsrecht gesetzten Erbinnen der „Bergpredigt“.
Worin konnte nun deren Verantwortung bestehen? Vor allem wohl darin, mit aller gebotenen Sorgfalt und Geduld die Geschichte und die Herkunft des Gemäldes zu erforschen und transparent zu kommunizieren. Im Falle der „Bergpredigt“ wurde seit 2014 tatsächlich ein großer Aufwand betrieben, noch einmal forciert durch das Auktionshaus NEUMEISTER, bei dem das Gemälde vor neun Jahren eingeliefert wurde. Heute sind wir daher um einige Erkenntnisse reicher, u.a. nach einem Forschungsprojekt des Zentralinstituts für Kunstgeschichte zum „Führerbaudiebstahl“ (2014 bis 2018), einem vielbeachteten Auftritt des Gemäldes auf der Fachtagung zur NS-Raubkunst der Evangelischen Akademie Tutzing 2015 und zwei großen Ausstellungen zum Komplex „Gurlitt“ in Bonn und Berlin, die das Bild als Leihgabe der Öffentlichkeit präsentierten. Einig ist man sich heute, dass das Bild wohl kaum identisch sein kann mit jenem Werk, das der Familie Honig in Wien entzogenen worden ist. Die Spur des Gemäldes führt eindeutig nach Frankreich, aber selbst die aufwändigen Untersuchungen der so genannten „Taskforce Gurlitt“ haben bis heute keine Hinweise zu den Vorbesitzern der „Bergpredigt“ erbracht, von denen Gurlitt oder seine Kunstagenten das Gemälde 1944 erworben haben.
Acht Jahre Forschung und Recherche konnten die Herkunft nicht zweifelsfrei eruieren. Was folgt aus diesem Befund? Die Grenzen der Zumutbarkeit für die jetzigen Eigentümer sind jedenfalls schon lange überschritten. Wer könnte die Verantwortung für das Bild übernehmen, wenn nicht jener Staat, der sich vor Jahren aus der Verantwortung gewunden hat? Die kommende Auktion lässt sich vor diesem Hintergrund nicht anders bezeichnen als eine wahrlich typische Lösung für die neoliberale Grundierung der Wirtschaftswunderrepublik – „Der Markt wird es schon regeln“. Aber ist dort die Verantwortung wirklich gut aufgehoben? Insbesondere im Jubiläumsjahr der Washington Principles. Tatsache ist allerdings, dass kaum ein Objekt den status quo in Deutschland so verkörpert wie diese Holztafel und ihre Geschichte.
DIE JURISTISCHE SEITE
Von Patrick Rosenow, Rechtsanwalt in München
Nachdem das Gemälde über die Fernsehsendung „Kunst & Krempel“ in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt war und die Staatsanwaltschaft München I im Jahr 2009 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Hehlerei eröffnet hatte, meldete sich die Nichte der damals 92-jährigen Besitzerin des Gemäldes und übergab das Gemälde freiwillig Anfang September 2009 an das Bayerische Landeskriminalamt zur Durchführung von Ermittlungen. Im Dezember 2009 meldete sich das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bei der Besitzerin mit der Bitte, das Gemälde an die Bundesrepublik Deutschland herauszugeben, um ggf. eine Rückgabe an den Eigentümer bzw. dessen Erben zu ermöglichen. Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland hat das Gemälde im Eigentum des Deutschen Reichs gestanden, welches gemäß Art. 134 Abs.1 GG Bundesvermögen wurde. Die Besitzerin berief sich dagegen darauf, dass sie das Eigentum am Gemälde im Wege der Ersitzung gemäß § 937 BGB erworben hat. Ein Eigentumserwerb durch Ersitzung tritt ein, wenn sich eine bewegliche Sache zehn Jahre im gutgläubigen Eigenbesitz befindet. Die 92-jährige Dame hatte das Gemälde von ihren Eltern zum Auszug in eine eigene Wohnung geschenkt bekommen. Sie hatte keine Kenntnis darüber, wie ihre Eltern in den Besitz des Gemäldes gelangt sind. Trotzdem war die Eigentümerin bereit, das Gemälde an einen nachweislich früheren Eigentümer bzw. dessen Erben herauszugeben. Zu einer entsprechenden Restitution ist es nicht gekommen, weil sich ein früherer Eigentümer nicht nachweislich ermitteln ließ. Die Eigentümerin ist im Jahr 2012 verstorben. Das Ermittlungsverfahren war bereits im August 2010 von der Staatsanwaltschaft München I eingestellt worden. Im Februar 2014 erließ die zuständige Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts München einen Beschluss, wonach der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben wird, ihre Rechte am sichergestellten Gemälde vor dem zuständigen Zivilgericht geltend zu machen, anderenfalls wird das Gemälde gemäß § 111 k StPO a.F. an die Eigentümerin bzw. deren Erbin herausgegeben. Nach Auffassung des Gerichts hat nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern die letzte Besitzerin im Wege der Ersitzung gemäß § 937 BGB Eigentum an der „Bergpredigt“ erworben. Ende Mai 2014 hat das Bayerische Landeskriminalamt das Gemälde an die Eigentümerin bzw. deren Erbin herausgegeben.