ES WERDE LICHT


Das neue Diözesanmuseum in Freising.


 

Text: Katja Kraft


Fotos: Michael Leis

 

In einem für 73,8 Millionen Euro generalsanierten Prachtbau zeigt das neue Diözesanmuseum Freising (DIMU) auf insgesamt fast 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche einzigartige Werke aus allen Bereichen kirchlicher Kunst und Kultur. Der Sammlungsbestand umfasst mehr als 40.000 Objekte aus 1.700 Jahren regionaler und überregionaler Glaubensgeschichte, von frühchristlichen Werken bis hin zu zeitgenössischen Positionen des 21. Jahrhunderts. Damit zählt das DIMU zu den weltweit größten religionsgeschichtlichen Museen. 

 

 

UND MIT EINEM MAL IST ALLES KLAR.
Stephan Rottalers „Christus in der Rast“ (um 1530) wirkt so unmittelbar auf seine Betrachter, dass die gar nicht anders können, als den Schmerz zu spüren, den dieser Mensch auf sich genommen hat. Völlig egal, ob man Christ ist, Jude, Muslim, Buddhist, Atheist – die lebensechte Plastik scheint zu flüstern: „Ecco homo“ – „Siehe, der Mensch“. Kunst trifft direkt ins Herz und sendet von dort eine große Portion Erkenntnis ins Hirn. Angesichts Rottalers Christus-Figur und all der anderen schier unfassbaren Kunstschätze, die nun wieder im Diözesanmuseum Freising zu sehen sind, versteht man augenblicklich den Ursprung allen religiösen Glaubens. Ob jüdisch, muslimisch, buddhistisch – immer liegt der zutiefst menschliche Wunsch nach Erklärungen zugrunde. Nach Hoffnung, Mutmachern. Einer Lichtgestalt. Die christliche strahlt im Barock-Saal mit all ihrem Glanz. Jesus Christus, der vollkommene Mensch 

Neun Jahre lang wurde das 1974 eröffnete Museum am Freisinger Domberg gänzlich neu geplant und saniert. Seit Anfang Oktober 2022 ist es wieder eröffnet, und zwar unter dem Motto: „Wie immer. Nur neu.“ Gläubig oder nicht: Dieses Haus, das weltweit eine der größten Kunstsammlungen der katholischen Kirche beherbergt, sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen. Denn: Was Museumsdirektor Christoph Kürzeder, seine Stellvertreterin Carmen Roll und ihr Team hier auf die Beine gestellt haben, begeistert, fasziniert, erstaunt – und berührt tief. Der Clou: Zwischen all den Arbeiten aus Gotik und Barock haben sie immer wieder zeitgenössische Werke in die Dauerausstellung integriert. Wie Brücken, die einen Übergang schaffen zwischen dem, was vergangen scheint, und dem Heute. Wobei beides in Wahrheit natürlich zusammengehört. Das eine auf das andere nachwirkt.

Eindrucksvoll empfängt einen bereits im Lichthof im Erdgeschoss die überlebensgroße Bronzeskulptur „Arcangelo“ der belgischen Bildhauerin Berlinde de Bruyckere. Verletzlich steht das Wesen mit nackten Füßen auf einem Sockel. Kopf und Oberkörper sind verhüllt, die bloßen Beine wundversehrt. Intensiv hat de Bruyckere sich mit dem Bestand spätgotischer Skulpturen des Museums auseinandergesetzt und schuf unter diesem Eindruck ihre Figur – ein Werk, das die Leidensgeschichte Jesu aufzunehmen scheint, gleichzeitig ganz unmittelbar auf unser aller Leben überträgt. Indem die Künstlerin mit Naturmaterialien wie Wachs und Tierhaar arbeitet, deutet sie unterschwellig auf unsere Angst vor und unseren Umgang mit dem Klimawandel hin. Der Gefahren wohlbewusst tapsen wir in eine ungewisse Zukunft, das Tuch aber tief über das Gesicht gezogen. Um nicht hinschauen zu müssen?

In Freising schaut man gerne hin. Und weiß gar nicht, wohin zuerst. Von links strahlt es einladend in sanften Farbtönen. Der Amerikaner James Turrell hat die ehemalige Hauskapelle in einen sagenhaften Lichtraum verwandelt. Auf nackten Füßen wie de Bruyckeres Skulptur darf man hier eintreten und in Farben baden. Sich dem Moment hingeben. Überhaupt, das Licht! Die Fenster des Rundgangs der Dauerausstellung im Obergeschoss wurden vergrößert, deckenhoch lassen sie nun die Sonne in die Räume strahlen. Und geben einen phänomenalen Blick frei auf Freising. Weihenstephan grüßt von Ferne. Der heilige Korbinian, Schutzpatron der Stadt, grüßt von Jan Polacks Gemälden aus dem 15. Jahrhundert zurück. In „Tod des hl. Korbinian“ sieht man im Hintergrund eine der ersten Ansichten Freisings. Es ist eine Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Ein Schatz, der ein passendes Zuhause gefunden hat.

Es sind diese klugen Zusammenführungen von dem, was zusammengehört, die die Schau so besonders machen. Schwerpunkte des Sammlungsbestandes des Hauses sind die spätmittelalterliche kirchliche Kunst Altbayerns, Schwabens und des Alpenraums sowie kunsthistorisch bedeutende Werke des süddeutschen Barocks und Rokoko. Im Museum begegnet man unter anderen den Meistern der süddeutschen Spätgotik wie Erasmus Grasser, Jan Polack und Gabriel Angler, aber auch Lucas Cranach und Künstlern des Barock und Rokoko, wie Ignaz Günther, Johann Baptist Straub und den Gebrüdern Asam. Hinzu kommen rund 3.000 Objekte byzantinischer Zeit. Indem auch diese sanft in die Dauerausstellung integriert werden, wird deutlich, dass Ost und West auf einer gemeinsamen Tradition gründen. Auch hier steht die Gemeinsamkeit im Vordergrund.

Gleichzeitig gestatten es sich die Kuratoren, immer wieder Störungen einzustreuen. Kleine Provokationen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die uns die alten Werke auf ganz neue Weise betrachten lassen. Gleich im ersten Raum etwa: Da treffen wir zuerst auf eine Mondsichelmadonna mit zwei Engeln (Ulm, um 1510) in all ihrer Schönheit und Reinheit. Doch an der Wand gegenüber erinnert Brigitte Stenzels Arbeit „Abendmahl und Himmelfahrt“ aus dem Jahr 2009 schonungslos daran, in welche Welt Babys heute geboren werden. Auch sie spielt auf Umweltkatastrophen an – und unwillkürlich fragt man sich, wie die Welt ausschauen wird, wenn die beiden nackten Kleinkinder, die Stenzel gemalt hat, einmal groß sind.

Verzweiflung und Hoffnung liegen hier stets eng beieinander. Auch die Wut über all das Leid, das Gott zulässt. Arnulf Rainers „Kreuzübermalung“ schreit sie hinaus in die Welt. Mit Wucht hat er das Kreuz übermalt. Ach was: voller Wut, Trauer, Ohnmacht auf die Kruzifix-geformte Leinwand geschleudert. Denn „Memento mori“, das heißt ja, dass auch alle anderen geliebten Menschen sterblich sind. Daran erinnern im Diözesanmuseum Freising nicht nur all die hochkarätigen Meisterwerke aus fast zwei Jahrtausenden. Auch schlichte, aber nicht weniger berührende Zeugnisse der Frömmigkeit einfacher Menschen sind ausgestellt. Schutzmedaillons, Taufgeschenke, eine schier überflutende Sammlung von Rosenkränzen. Die meisten davon in kostbarster Ausführung. Wie kunstvoll sie einst gefertigt wurden, mit wie viel Detailverliebtheit bis in die kleinste Perle! Hier zeigt sich dann, was über die Jahrhunderte verloren gegangen ist. Solch einen Aufwand betreibt nur, wer den Rosenkranz tatsächlich betet. Und in diesem Gebet neue Zuversicht schöpft.

Ein Besuch im Diözesanmuseum Freising macht einen nicht zum gläubigen Christen – soll er auch gar nicht. Es ist kein Ort der Bekehrung. Sondern einer, der zum Dialog anregen und in jedem Einzelnen etwas zum Schwingen bringen möchte. Uns zum Nachdenken anregen, über all die weltlichen Herausforderungen, die uns täglich begegnen. Hier findet man so manche Antwort, die man gar nicht gesucht hatte.

Beschwingt läuft man nach dem Besuch wieder den Domberg hinunter. Was ist der Mensch? Einer, der sich seiner Sterblichkeit bewusst ist. Aber auch des großen Geschenks, das sich Leben nennt.

Tanz auf dem Vulkan Zur Wiedereröffnung zeigt das Museum bis Ende Januar 2023 die Sonderausstellung „Tanz auf dem Vulkan. Leben und Glauben im Schatten des Vesuv“, die sich anhand von Artefakten und Zeugnissen rund um Neapel, den Vesuv und den Stadtpatron San Gennaro mit der akuten Frage auseinandersetzt, wie Menschen mit der Bedrohung durch Naturkatastrophen umgehen. Viele Zeugnisse des Heiligenkults um San Gennaro verlassen erstmals Neapel, um in dieser Ausstellung gezeigt zu werden.


 

 

Oben: Eine Ikone aus dem 10. Jh., ein Metallrahmen aus dem 13. Jh., ein Silberaltärchen von 1629: Das Freisinger Lukasbild ist eines der Hauptwerke des Museums. Rechts: In neun Ausstellungssälen steht Jesus mit seiner Botschaft, seinem Lebensweg und seinen Leiden im Mittelpunkt. 


 

 

„Mit dem Diözesanmuseum Freising wollen wir den Menschen ein lebendiges, ein bis heute relevantes Erbe vermitteln. Wir wollen Horizonte öffnen, Anregungen geben, mögliche Antworten auf Fragen umreißen, die sich die Menschen auch jetzt stellen. Es geht um Fragen nach dem Woher und Wohin, nach Sinn und Ziel, nach ethischen Prinzipien, nach Orientierung und Lebensentwürfen. 

Deshalb erfolgt die Präsentation der Objekte der Sammlung nicht nach Epochen, sondern gliedert sich nach Fragestellungen, die das Leben jedes Menschen betreffen und die seit jeher in der Kunst wie in der Religion behandelt werden würden.“

Museumsdirektor Christoph Kürzeder


 

 

„Haupt der Medusa“, Caravaggio, 1597.

Weltliches aus Marmor zeigt die Sonderausstellung „Tanz auf dem Vulkan“.


 


Kunst und Religion im Diskurs. Bis HEUTE.


 

 

Während der Zeit des Umbaus lud das Team des DIMU verschiedene zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ein, für das neue Museum einen künstlerischen Beitrag zu leisten, der zum Konzept und zur Sammlung des Hauses passt. So entstand eine Reihe von Projekten, die auch teilweise schon bei der Wiedereröffnung zu sehen sind. Der US-amerikanische Installationskünstler James Turrell, der bereits im Jahr 2013 das Museum besuchte und den Ort seines Kunstwerkes auch selbst wählte, schuf in der ehemaligen Hauskapelle eine raumübergreifende Lichtinstallation in Form eines Ganzfeldes, die er in Anspielung auf das Freisinger Lukasbild, eine bedeutende byzantinische Ikone, „A CHAPEL FOR LUKE and his scribe Lucius the Cyrene“ nannte. 

Die Bronzeskulptur ARCANGELO der belgischen Bildhauerin Berlinde de Bruyckere ist der Hingucker im Lichthof. Der für seine Langzeitbelichtungen bekannte Fotograf Michael Wesely zeigt in seinen beiden Arbeiten die Transformation des Museums in den letzten neun Jahren, indem er das Museumsteam kurz nach der Schließung und kurz vor der Wiedereröffnung zu einem Gesicht verschmelzen ließ. Die amerikanische Künstlerin Kiki Smith hat sich bei ihrem Besuch auf dem Domberg im Juni 2019 entschlossen, einen kleinen Sakralraum im Außenbereich des Museums zu gestalten. Die von ihr in Zusammenarbeit mit Brückner & Brückner Architekten, nach deren Plänen das Museum saniert und umgebaut wurde, entworfene Kapelle trägt den Titel „Mary’s Mantle Chapel“ und wird ab April nächsten Jahres auf der Westterrasse des Museums gebaut und von der Künstlerin gestaltet werden. 

Der Maler Neo Rauch ist bei der Eröffnung mit einer Leihgabe vertreten und wird im Lauf des nächsten Jahres ein Gemälde für das DIMU schaffen. Im Außenbereich, am Westhang des Museums, werden fast lebensgroße Skulpturen der Zyklen „Frauen der Antike“ und „Märtyrerinnen“ von Anselm Kiefer eine beeindruckende Verbindung zwischen Stadt und Domberg schaffen. Die in Freising geborene Malerin Brigitte Stenzel ist mit einer Werkreihe symbolisch gestalteter Kränze ausgestellt. Mit ihrem mehrteiligen Werk „Die Beschwingten“ verwandelt sie zudem den großen Gastraum der Museumsgastronomie in eine Voliere.


Grünes Museum mit TIEFBLICK


 

Das neue Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg ist ein großer architektonischer Wurf. Die Generalsanierung des Baus, der 1870 im neoklassizistischen Stil als Knabenseminar errichtet wurde, erfolgte nach den Plänen des Architekturbüros Brückner & Brückner, das mit seinem Entwurf „Geöffnete Wände“ 2015 den von der Erzdiözese ausgelobten Wettbewerb gewann. Dabei wurde die ursprünglich großzügige Raumstruktur des immer wieder umgebauten Gebäudes gemäß dem Motto „Geöffnete Wände“ wiederhergestellt und es konnten weitreichende Durch- und Ausblicke geschaffen werden, sowohl innerhalb des Gebäudes als auch nach draußen auf die Stadt und die Landschaft. Der helle Lichthof ist mit seinen vier Geschossen weiterhin zentraler Veranstaltungsraum.

Das generalsanierte Gebäude präsentiert im ersten Obergeschoss die neue Schausammlung und im Erdgeschoss und zweiten Obergeschoss Sonderausstellungen. Dort steht den Besucherinnen und Besuchern zudem eine Bibliothek mit Panoramaterrasse als Ruhe- und Leseraum zur Verfügung, im Erdgeschoss und zweiten Untergeschoss befinden sich die museumspädagogischen Räume, im Untergeschoss schließlich die Museumsgastronomie mit Westterrasse und Blick über die Altstadt Freisings bis zur Alpenkette. Und: Das Museum kommt fast vollständig ohne fossile Energieträger aus, allein über die regenerative Wärmeerzeugung können jährlich schätzungsweise 220 Tonnen CO2 eingespart werden.

INFORMATIONEN DIÖZESANMUSEUM FREISING

Domberg 21
85354 Freising

Tel. 089/213774240

www.dimu-freising.de
@dimu.gram (Instagram)

Öffnungszeiten
Di – So 10 – 18 Uhr


Eintritt Regulär 8 Euro
Ermäßigt 6 Euro
Jahreskarte 20 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei

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