Honoré Daumier: Juristen in Serie


HONORÉ DAUMIER gibt als „Michelangelo der Karikatur“ zeitlose Einsichten in die menschliche Natur.

Kriege, Revolutionen, Wirtschaftskrisen, Hungerkatastrophen, Epidemien, aber auch bahnbrechende Erfindungen wie Gaslicht, Eisenbahn, Elektrizität und Fotographie. Die epochalen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts begleiten Leben und Schaffen Honoré Daumiers (1808-1879) von der Julimonarchie unter Bürgerkönig Louis Philippe über die Revolution von 1848 und die Zweite Republik bis zum Zweiten Kaiserreich unter Napoleon III

Schnell zeigt sich, dass der in ärmlichen Verhältnissen als eines von zehn Kindern aufgewachsene Junge ein ungewöhnlich begabter Zeichner ist. Obwohl seine Familie am Rand des sozialen Abgrunds steht, fördert ihn sein Vater Jean Baptiste. Früh macht sich Honoré Daumier vertraut mit dem neu aufkommenden Medium der Lithographie und sichert sich später als Mitarbeiter satirischer Wochenblätter ein bescheidenes Auskommmen, das gerade einmal reicht, um auch Eltern und Geschwister zu ernähren. Seine erste Lithographie veröffentlicht die satirische Zeitschrift „La Caricature“ am 22.Juli 1830. Nach der zensurbedingten Einstellung des Blattes 1835 ist es vor allem das 1832 gegründete Satire-Blatt „Le Charivari“, für das Daumier tätig ist und zum bedeutendsten Karikaturisten seiner Epoche wird. Seine Hinterlassenschaft ist kolossal, am Ende unfasst sein Werk 4.000 Lithographien, 200 Gemälde, 800 Zeichnungen und etwa 1.000 gezeichnete Vorlagen für Holzstiche.

Oft über mehrere Jahre hinweg leuchtet Honoré Daumier als genauer Beobachter Politiker und Regierungsbeamte, einzelne Berufsgruppen und soziale Milieus in allen Schattierungen aus.

Zentrales Thema ist Paris – Symbol für Modernisierung und technischem Fortschritt sowie Brennpunkt gesellschaftlicher Entwicklungen mit Gewinnern und Verlierern. Mehrere Serien thematisieren das Leben der Menschen in der Metropole, mit all ihren Schwächen, Verschrobenheiten und Sehnsüchten. Und Daumier gehört als Teil der künstlerischen Avantgarde von Paris dazu. Künstlerfreundschaften verbinden ihn unter anderem mit Eugène Delacroix, Victor Hugo, Charles-Pierre Baudelaire und Théodor Rousseau. Und er genießt ihr Ansehen. „Es gibt keinen, den ich mehr schätze und verehre als Sie“, schreibt Delacroix 1846 in einem Brief an Daumier. Es spricht auch für sich, dass viele berühmte Künstler Daumiers Werke sammelten, darunter Degas, Manet, Monet, van Gogh, Toulouse Lautrec, Picasso und Max Liebermann. 

 

 

HONORÉ DAUMIER
1808 Marseille - 1879 Valmondois (Seine-et-Oise)

Les Gens de Justice

Daumier verhöhnt politische Akteure, jongliert dabei durch Phasen relativer Pressefreiheit und strenger Zensur. Und stürzt auch ab, muss wegen Verunglimpfung des Bürgerkönigs und seiner Minister 1832 sogar für sechs Monate in Gefängnis. Ziel seines Spots sind neben Politikern, Ärzten und Professoren insbesondere Anwälte und Richter, die er als grausam und anmaßend empfindet. Daumier hatte in seinen frühen Pariser Jahren als Laufbursche für einen Gerichtsdiener gearbeitet, kennt also die Leiden der Angeklagten und das Agieren der Anwälte aus eigener Erfahrung und setzt dies in seinen Gerichtsdarstellungen druckgraphisch gekonnt um: Die Anwälte vor Gericht erinnern in Handeln und Gestik an Raubvögel – ein Eindruck, der durch das Spiel mit dem Licht, den wallenden Anwaltsroben und der Physiognomie der Personen noch verstärkt wird. Immer wieder werden Gruppen verschiedener Anwälte gezeigt, die sich scheinbar schon auf die Suche nach ihren nächsten Opfern machen. Und dann sind da noch die Richter, die im Gegensatz zu den dynamischen Anwälten träge, müde und desinteressiert wirken. So entstehen bissige Bilder von Gerichtsprozessen, in denen Anwälte den Prozess gestalten, bis ein desinteressierter Richter ein willkürliches Urteil fällt – auf dem Rücken der Bürger.

HONORÉ DAUMIER
1808 Marseille – 1879 Valmondois (Seine-et-Oise)

LES GENS DE JUSTICE

37 Lithographien
ca. 44 × 33 cm

AUKTION 406 // LOT 556
SCHÄTZPREIS € 10.000 –12.000

Provenienz: Überwiegend Kunsthandlung Goyert, Köln. – Südwestdeutsche Privatsammlung.