EDLE EINFALT. STILLE GRÖSSE.


Belebt: Ein Streifzug durch die Glyptothek

KRAFTAKT
EDEL SEI DER MENSCH, SEXY UND STARK

Wilde Locken, Sixpacks, knackige Hintern – wer sich von der Erotik jugendlicher Männerkörper stilvoll in den Bann ziehen lassen will, besucht die frisch renovierte Glyptothek …

Bereits an der Kasse fällt der Blick unwillkürlich nach links, wo am Ende der Blick - achse durch die ersten Säle ein wahrhaft prachtvolles Mannsbild lockt. Fast ein bisschen unverschämt, wie der Barberinische Faun perfekt ausgeleuchtet auf seinem Felssporn herumlungert, den Kopf lässig nach hinten gelegt, die Muskeln sanft angespannt, die Beine weit geöffnet. Die offensive Nacktheit der Darstellung ist zeittypisch, schließlich galt der jugendliche Mann mit muskulösem Körper in eroti - scher Pose als Idealbild der antiken Statue. Aber auch ohne ihre kunsthistorische Bedeutung zu kennen, zieht diese Skulptur den Betrachter in den Bann. Erst bei näherer Begutachtung offenbart sich, dass der coole Modeltyp mit den Fitnessmaßen nicht nur angetrunken, sondern tat - sächlich ein Satyr ist, also ein Mischwesen zwischen Mensch und Tier. Seinen buschigen Pferdeschweif verbirgt er hinter seinem Rücken.

 

PERFEKTER RAHMEN FÜR ANTIKE KUNST

Der Barberinische Faun stammt etwa aus dem Jahr 220 v. Chr. und ist eines der bedeutendsten Exponate des nur einen kurzen Spaziergang von NEUMEISTER entfernten Museums, entstanden in römischer Zeit nach hellenistischem Vorbild. Anfang des 17. Jahrhunderts wurde die Figur bereits in Rom von Gian Lorenzo Bernini restauriert, 1813 erwarb sie Ludwig I., seit den 1830er Jahren befindet sie sich in der Glyptothek. Durch ein feines Lichtkonzept im frisch sanierten Museum ist der Faun nun erneut zum Leben erweckt worden. Wer die 14 Säle der Glyptothek erkundet, läuft durch gut 1000 Jahre antiker Kunstgeschichte – in einem Gebäude von beeindruckender Schönheit. Es ist zwischen 1816 und 1830 von Leo von Klenze, dem Hofbaumeister Ludwigs I., als klassizistisches Gesamtkunstwerk mit aufwändiger Innendekoration errichtet worden. Die Zerstörungen des Hauses im Zweiten Weltkrieg machten einen Wiederaufbau nötig, und man entschied sich in den 1960er Jahren, die Innenräume nun schlicht und einfarbig zu halten, um die antiken Skulpturen besser zur Geltung zu bringen. Schon Martin von Wagner, Kunstagent König Ludwig I., plädierte seinerzeit für einen effektvollen, aber zurückhaltenden Rahmen, konnte sich aber nicht gegen den mächtigen Klenze durchsetzen. Seit Frühjahr 2021 ist die Glyptothek nach zwei Jahren Sanierung wieder für Besucher geöffnet.

EDLE EINFALT UND STILLE GRÖSSE

Der Klassizismus war geprägt von einem Schönheitsbegriff, in dem Natürlichkeit, Schlichtheit und Bescheidenheit eine große Rolle spielten. Für Johann Joachim Winckelmann, geistiger Begründer des (deutschen) Klassizismus, war die antike Kunst Vorbild, er prägte den Begriff „Edle Einfalt und stille Größe“. Dass die großen Marmor-Statuen weiß waren, passte zu seiner Ästhetik der Reinheit, allerdings ist belegt, dass die griechischen Originale durchaus farbenfroh und reich verziert waren. In der Glyptothek beginnt der Rundgang mit Skulpturen aus der Archaik, die Epoche der Griechischen Antike, in der seit etwa 650 v. Chr. mit der Schaffung freistehender lebens- oder überlebensgroßer Statuen begonnen wurde. Ganz nackt waren übrigens wirklich hauptsächlich die Männer, wie der sogenannte Münchner Kouros aus dieser Zeit. Der beeindruckende, über zwei Meter große Jüngling mit athletischem Körperbau und angedeutetem Lächeln wirkt noch recht statisch, die Darstellung von Bewegung befand sich gerade in ihren Anfängen. Erst in der Klassik, 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., entwickelte sich eine neue Stilformel, in der die Anatomie des bewegten Körpers sowie menschliche Gefühle mit größerer Genauigkeit dargestellt wurden, und durch die die Statuen belebter wirkten.

 

NACKTE MÄNNER IM KRIEG

Die Übergänge zwischen Archaik und Klassik werden auch an einem anderen Highlight des Museums anschaulich: den Giebelfiguren des Aphaia-Tempels von Ägina, den sogenannten Ägineten. Runde Sache: kriegerische Griechen links, Apollo-Saal rechts Ein griechischer Athlet 12 Das NEUMEISTER Magazin No. 5/ 22 Das NEUMEISTER Magazin No. 5 / 22 13 Auch sie wurden 1812 von Ludwig I. erworben. Die Figuren stellen zwei trojanische Kriege dar, wobei der Westgiebel noch der archaischen Darstellungsweise entspricht mit eher statischen, kaum interagierenden Figuren, der Ostgiebel bereits der Klassik. Hier ist deutlich mehr los, das Kampfgeschehen wirkt lebendiger, die Figuren individueller und realistischer. Auch beide Ägineten-Darstellungen zeigen übrigens nackte Männer, Bogenschützen und Krieger, und eine bekleidete Frau in der Mitte: Athena. Zur ursprüng - lichen Farbigkeit dieser Skulpturen ist viel geforscht worden. So gibt es diverse Farbrekonstruktionen vor allem des gut erhaltenen Paris‘, dem trojanischen Bogenschützen aus dem Westgiebel, der eben nicht nackt war.

 

DIE DUNKLE SEITE DER MACHT

Der Darstellung des Menschen als edles und gutes Ge - schöpf, maßvoll und ordentlich wie Apollon, standen die Abbildung von Dionysos und seiner Gefolgschaft gegenüber. Statt sittlicher Reinheit verkörpern sie Hemmungslosigkeit, Rausch, Ekstase und Chaos – die andere, die dunklere aber auch lustigere Seite des Menschen. Die sexuelle Triebhaftigkeit des Barberini - schen Fauns, das „Tierische“ in ihm, symbolisiert dessen Pferdeschwanz. Während der Faun ein zwar betrunkener, aber sehr stattlicher Kerl ist, Ägineten in Action: Trojanischer Krieg hautnah … 14 Das NEUMEISTER Magazin No. 5/ 22 Das NEUMEISTER Magazin No. 5 / 22 15 und Dionysos meistens als so eine Art Feierbiest dargestellt wird, steht die „Trunkene Alte“ für die hässliche Realität des Alters. Die Griechen konnten über trunksüchtige alte Weiber lachen, Baumeister Leo von Klenze eher weniger: Er wollte dieses Glanzstück der Hellenistischen Kunst nicht in seiner Glyptothek haben, die Figur wurde erst später aufgestellt. Krähenfüße um die Augen, fehlerhaftes Gebiss, dünne Haut, spitze Knochen, leerer Blick und eine große Flasche in den Armenes gibt zahlreiche Interpretationen dieser außergewöhnlichen Skulptur, die von Künstlerspaß über Sozialkritik bis zur Bewusstmachung der Sterblichkeit des Menschen reichen.

 

EROTISCH BIS GRUSELIG — DIE BELEBTE STATUE

Der Mythos des Bildhauers, der sich danach sehnt, seine Figur tatsächlich zum Leben zu erwecken, spielte in Kunst und Literatur immer wieder eine Rolle. Der römische Dichter Ovid erzählt in seinen „Metamorphosen“ von dem Bildhauer, der sich - enttäuscht von der Lasterhaftigkeit und der Gemeinheit der Frauen – eine Figur aus Elfenbein nach dem Vorbild der Venus schnitzt. Er verliebt sich in die Statue, schmückt und herzt sie und fleht schließlich die Götter an, sie lebendig werden zu lassen. Als er sie wieder küsst und streichelt, merkt er, dass aus dem Elfenbein weiches Fleisch wird, er kann das Blut in ihren Adern fühlen. Nach neun Monaten wird ihr gemeinsamer Sohn Paphos geboren … Während Pygmalions Geschichte aus heutiger (feministischer) Sicht ziemlich befremdlich wirkt, wurde das Motiv der belebten Statue vor allem in der Literatur der Romantik aufgegriffen und verwandelt. War es in Joseph von Eichendorffs Gedicht „Das Marmorbild“ noch das erotisierende Trugbild, so sahen andere Romantiker darin den künstlichen Menschen, wie Viktor Frankenstein in Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ von 1818.

 

 

BASICS

 ADRESSE

Königsplatz 3
80333 München
Tel. 089 / 286 100

info(at)antike-am-koenigsplatz.mwn.de
www.antike-am-koenigsplatz.mwn.de

 

ÖFFNUNGSZEITEN:

DI bis SO 10 bis 17 Uhr
DO bis 20 Uhr

Eintrittspreise:
6 € / ermäßigt 4 € (die Karte gilt für beide Museen, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek);
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kostenlos

FÜHRUNGEN
Kostenlose wissenschaftliche Führungen
Donnerstag 18 Uhr
Anmeldung unter: 089/28788182 (Glypto-Freunde)

 

AUSSTELLUNGEN UND VERANSTALTUNGEN 2022 SONDERAUSSTELLUNG: Jenseits von Hellas: Santiago Calatrava in der Glyptothek 22.6.2022  – 23.10.2022

Theaterspiele im Innenhof der Glyptothek 11.7.  – 11.9.2022 Leitung: Gunnar Petersen

Lange Nacht der Museen 15.10.2022, ab 18 Uhr 


LESUNGEN AFTER WORK — LESUNGEN ZUR ANTIKE

Mit den After Work -Lesungen wird ein neues Format in den Antikensammlungen und der Glyptothek angeboten. Eine Stunde liest Barbara Greese dabei in zwei Zyklen à drei Veranstaltungen literarische Texte zu verschiedensten großen Themen der Antike – von den griechischen Göttern über die Liebe bis hin zu Wein, Wahn und Tod. Begleitet werden die Lesungen von kurzen archäologischen Erläuterungen durch Glyptothek -Kuratorin Dr. Astrid Fendt.

 

THEMEN UND TERMINE

8.2.2022: Dionysos – göttlich berauscht
8.3.2022: Frauenpower – Frau des Hauses und Heldin des Kampfes
5.4.2022: Kunst der Liebe – frivol, freizügig, poetisch
11.10.2022: in vino veritas – Wein – Wahrheit – Wahn
15.11.2022: Tod im Leben – Metamorphose, Totenkult und Jenseitsvorstellungen
13.12.2022: Die olympischen Götter – ideal und unvollkommen, unsterblich menschlich

jeweils 17.15  – 18.15 Uhr, Einlass ab 17 Uhr; Eintritt: 10 €

Anmeldung: lesungen-zur-antike(at)barbaragreese.de