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Der Augenblick als Augenweide: „Unter dem Kronleuchter“ von LOVIS CORINTH 

DAS LEBEN ALS FEST

„Unter dem Kronleuchter“ entspringt so ganz der Lebensphilosophie des Jahrhundertmalers. Lovis Corinth ist ein sinnlicher Mensch. Er lebt in den Tag hinein und liebt Genuss bis zum Gelage. Ein humorvoller Bohemien durch und durch. „Das Leben, ein Fest“ – der Titel einer Corinth-Ausstellung 2021 im Wiener Belvedere – beschreibt das Credo des Großstadtmalers sehr treffend. Dabei fing alles in der hintersten Provinz an.

Am 21. Juli 1858 wird Lovis Corinth im ostpreussischen Tapiau geboren. Die Mutter stirbt früh, der Vater, ein Gerber, unterstützt den Sohn und ebnet ihm den Weg für eine verhältnismäßig lange akademische Ausbildung. Sie beginnt 1876 an der Kunstakademie Königsberg als Schüler Otto Günthers, auf dessen Empfehlung Corinth 1880 an die Kunstakademie in München wechseln kann – seinerzeit als internationales Kunstzentrum für angehende Maler das Maß aller Dinge.

Corinth studiert zunächst bei Franz Defregger, Wilhelm Trübner wird zum wichtigen Lehrer. 1884 setzt Lovis Corinth sein Studium an der renommierten Académie Julian in Paris bis 1887 fort, wendet sich dort der realistischen Aktmalerei zu und arbeitet im Atelier von Adolphe Bouguereau. Doch Paris enttäuscht den jungen Mann: „Niemals habe ich dort irgendein Talent entdeckt. Ich bewundere die französische Malerei von Watteau bis Monet; sonst ist da aber nichts Himmelstürmendes.“


 

LOVIS CORINTH
1858 Tapiau - 1925 Zandvoort

UNTER DEM KRONLEUCHTER. 1905

 

Öl auf Leinwand
94 × 78 cm 

AUKTION 408 // LOT 1507
Ergebnis: € 260.000 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

 

Eine Frau und ein Mann sitzen entspannt an einem runden, mit Karaffe, Flaschen, Weingläsern, Besteck, zwei Tellern und einer Vase mit Orchideen reich gedeckten Tisch. Über der Tafel hängt ein pracht - voller Glas-Kronleuchter mit flackernden Kerzen, die an der Rückwand in einem von Bildern und Tellern flankierten venezianischen Spiegel widerscheinen. Darunter brennen weitere, von zwei Wandleuchtern gehaltene Kerzen. Goldenes Licht erfüllt und wärmt den gesamtem Raum, schimmert munter in Gläsern und Flaschen und an den Wänden, erhellt die schemenhaften Gesichter. SIE hängt lässig, wohl auch schon etwas angeheitert in einem Sessel und prostet ihrem Gegenüber mit gefülltem Weinglas in der Rechten zu. ER, eine Zigarre in der Linken, macht ebenfalls einen hochgradig entspannten Eindruck.

 

 

„Unter dem Kronleuchter“ betitelte Lovis Corinth diese stimmungsvolle Abendszene, die er im Jahr 1905 in Oskar Molls Berliner Atelier malte. Bei den Darge - stellten handelt sich um seine Ehefrau Charlotte und den Malerfreund Robert Richter. Wir fühlen uns sofort ins vergnügte Geschehen hineingezogen, hören das Klimpern der Gläser, spüren die Wärme des Raumes. Am liebsten würde man auf dem leeren Stuhl Platz nehmen und sich einklinken in die vertraute Runde.

Vorliegendes Gemälde zählt zu Corinths herausragenden Werken, und was es so besonders macht, beschreibt Evelyn Benesch*: „Unter dem Kronleuchter ist eines jener Bilder, in denen sich die impressionistischen Qualitäten Corinths besonders stark manifestieren. Sein Anliegen, das Momenthafte einer Stimmung einzufangen, ist hier besonders deutlich. Die Spontaneität des Augenblicks wird durch den weggeschobenen Sessel und das zurückgelassene Besteck genauso unterstrichen wie durch die im Zuprosten soeben erhobene Hand Charlottes. Dem entspricht auch der eingeschränkte, fast zufällige Blick in eine Ecke des Atelierraumes. [...] Corinth malt nicht das reine Licht wie im französischen Impressionismus, er malt den Kronleuchter, der dieses Licht ausstrahlt und ihn damit in diesem Moment zum Malen anregt. Er geht vom konkreten Gegenstand als Bildvorlage aus, und dabei bleibt er während seines gesamten Schaffens.“

 

Hat Adolph Menzel (1898 – 1905) Lovis Corinth beeinflusst? „Unter dem Kronleuchter“ wirkt wie eine Ausschnitt aus dessen Gemälde „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“ (1852), das heute in der Nationalgalerie in Berlin zu bewundern ist. Corinth hat seinen Kronleuchter in Menzels Todesjahr 1905 gemalt, möglicherweise als Hommage. Adolph Menzel gewährt mit seinem Werk einen detailreichen Einblick in einen kulturellen Abend am Hofe Friedrichs des Großen auf Schloss Sanssouci. Es wird musiziert. Der König selbst spielt die Flöte. Wie bei Corinths Gemälde verströmt ein herrlicher Kronleuchter warmes Licht, das vor allem den König in Szene setzt.

1891 kehrt Corinth nach München zurück, findet Anschluss an die Revoluzzer der Münchner Kunstszene und zählt zur Gründungsriege der Münchner Secession (die ihn aber bald wieder rauswirft…). In der bayerischen Kunstmetropole ist Corinth Stammgast in Caféhäusern und Biergärten, macht als Raufbold und Herrenreiter von sich reden. „Ich habe im Leben übergenug Fauststöße erhalten, mehreren noch bin ich ausgewichen und habe auch einige zurückgegeben. Intrigen wurden eingefädelt, wie es in der Großstadt üblich war. Doch mein Schutzgeist wachte über mich, bewahrte mich vor Tod und Ertrinken, vor Sturz in waghalsigem Reiten, aber auch vor Entgleisungen aller Art“, schreibt Corinth über diese wilde Zeit.

In München macht Corinth aber nicht nur als Rabauke auf sich aufmerksam, sondern auch als Künstler, der zunehmend seinen eigenen Stil entwickelt. Er ist ein Vollblutmaler, der wild drauf los arbeitet. Porträts, Akte, mythologische und religiöse Szenen entstehen sowie schockierend realistische Schlachthausbilder, die er seit 1892 immer wieder malt. Berühmte Werke dieser Zeit sind „Salome“ (1900), „Die Logenbrüder“ (1898) und das „Selbstporträt mit Skelett (1896), heute eines der bedeutendsten Werken des Münchner Lenbachhauses.

München macht es dem Maler nicht leicht, der Erfolg lässt auf sich warten. Erst 1895 kann Corinth mit der „Kreuzabnahme“ sein erstes Bild überhaupt verkaufen. Enttäuscht wendet er sich von Bayern ab und zieht in die Hauptstadt des Kaiserreiches.

SINNLICHE MOMENTE

1901 siedelt Lovis Corinth nach Berlin über und eröffnet eine Malschule. Seine erste Schülerin ist die damals 21 Jahre alte Charlotte Berend. „Petermannchen“, so Corinths Kosename für die junge Malerin, steht ihm Modell, und bei einer Reise an die Ostsee verlieben sich die beiden. Es folgen Verlobung (1903), Heirat (1904) sowie die Geburt von Sohn Thomas (1904) und Tochter Wilhelmine (1909).

 

Lovis Corinth und Charlotte Behrend, 1902

 

Immer wieder setzt Corinth die Liaison mit Charlotte in Szene, herrlich (selbst-)ironisch etwa mit dem Gemälde „Mädchen mit Stier“ von 1902: Er als Stier, von ihr gebändigt und an der Nase herumgeführt. Einen besonders sinnlichen Moment hält das „Selbstporträt mit Charlotte Berend und Sektkelch“ fest, von Corinth zur Verlobung 1903 gemalt. Dabei sitzt Charlotte mit unbekleidetem Oberkörper auf seinem Schoß und wird von ihm umarmt, während er ein Glas erhebt.

Die Familie ist für Lovis Corinth eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Dabei thematisiert er zu Beginn seiner Ehe Erotik in Aktporträts seiner jungen Frau, was sich nach und nach zum Mutter-Kind Thema wandeln wird: Wie ein roter Faden ziehen sich das Familienmotiv und die heranwachsenden Kinder durch sein Werk.

Im Privatleben schwankt Lovis Corinth zwischen unangepasstem Lebemann und biederem Familienmensch. So entspricht sein Rollenverständnis nach der Heirat mit Charlotte den bürgerlichen Konventionen des 19. Jahrhunderts. Viele Jahre wird seine Frau ihre Karriere zugunsten seiner künstlerischen Arbeit hintan stellen. Dennoch schafft es Charlotte am Ende, sich als erfolgreiche Malerin der Moderne auszuzeichnen. So zählt sie neben Käthe Kollwitz zu den wenigen weiblichen Mitgliedern der Berliner Secession, wo sie ab 1908 in Ausstellungen eigene Werke präsentiert.

 

 

 „WIE IM RAUSCH LEBT ER DAHIN“

Als Künstler startet Corinth im kaiserlichen Berlin durch. 1911 wird er Vorsitzender der Berliner Secession, 1918 Professor an der Akademie der Künste. Seine Werke sind in bedeutenden Ausstellungen zu sehen und in Kreisen des aufstrebenden Großbürgertums mangelt es nicht an Auftraggebern. Bald zählt Lovis Corinth neben Max Slevogt und Max Liebermann zu Preußens begehrtesten Malern und genießt sein Dasein als beliebter Bohemien und hochgeachteter Künstler in vollen Zügen. „Der Künstler, den die Erfolge krönen, lebt in der Großstadt wie in einem bezaubernden Morgenland. Er schiebt sich von einem vornehmen Haus ins andere, er setzt sich an die üppigsten Esstische und macht kauend und süffelnd Unterhaltung. Wie im Rausch lebt er dahin. Und sein Talent? Lässt solch ein Künstler denn sein Talent liegen? Welche Frage! Im Gegenteil. Unbewusst erstarkt das Talent, wenn man drauflos lebt,“ beschreibt der Schriftsteller Robert Walser (1878 – 1956), der in der Hauptstadt zeitweise als Sekretär der Berliner Secession arbeitete, das Leben erfolgreicher Künstler im wilhelminischen Berlin.

Dabei nimmt Lovis Corinth das Bildungsbürgertum gerne aufs Korn, zum Beispiel mit dem Gemälde „Waffen des Mars“ (1910). Grundsätzlich hat er einen scharfen Blick für die zahlreichen Facetten des Lebens und setzt sich mit seiner Zeit kritisch auseinander. Und weil er sich oft gegen die Prüderie und Bigotterie der wilhelminischen Zeit wendet, bleibt Ärger mit der Zensur nicht aus.

Berliner Salon:
In Lovis Corinths Wohnzimmer in der Berliner Klopstockstraße hing auch ein prächtiger Kronleuchter.

 

SCHICKSALSSCHLAG

Das ausschweifende Leben fordert Tribut, und Corinth greift seinen eigenen Verfall in seiner Kunst immer wieder auf. In teils erschütternden Selbstporträts beobachtet er seinen Alterungsprozess und dokumentiert in Gemälden und Zeichnungen schonungslos die Spuren, die Schicksal und Lebensgewohnheiten auf seinem Gesicht hinterlassen haben – dabei ist es ein langer Weg vom ersten selbstbewussten Porträt des Jahres 1887 bis zu seinen späten, von Tod und Wahn gezeichneten Selbstbildnissen. Im Dezember 1911 erleidet Lovis Corinth einen schweren Schlaganfall. Er führt zu einer lang anhaltenden Lähmung seiner linken Körperhälfte und wirft den Kraftmenschen auf dem Zenit seines Ruhmes fast aus der Bahn. Verzweifelt schreibt er: „Krankheiten, eine linksseitige Lähmung, wie ein ungeheures Zittern der rechten Hand, durch Anstrengung mit der Radiernadel verstärkt und durch frühe Exzesse von Alkohol hervorgerufen, verhinderten schon immer eine handwerkliche, kalligrafische Mache in meinen Arbeiten. Ein fortwährendes Streben, mein Ziel zu erreichen, hat mein Leben vergällt, jede Arbeit endet mit Depressionen, dieses Leben noch weiter führen zu müssen.“

Corinth kann nach dem Schlaganfall zwar weiterarbeiten, doch sein Malstil verändert sich, wird expressiver und explosiver: Manch einer, der in dieser Zeit von ihm porträtiert wird, soll befürchtet haben, dass der Maler die Leinwand mit seiner aggressiven Pinselführung zerfetzt.

 

 

Karteikarte von Charlotte Berend-Corinth, die das erste Werkverzeichnis der Gemälde ihres Mannes verfasst hat. Die Karte stammt aus dem Archiv des Bruckmann Verlags, das sich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte München befindet.

 

KRIEG UND RÜCKZUG

Als am 1. August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, reiht sich Lovis Corinth wie viele andere Künstler in die Riege der Hurrah-Patrioten ein: „Wir wollen der Welt zeigen, daß heute deutsche Kunst an der Spitze der Welt marschiert. Fort mit der gallisch-slawischen Nachäfferei unserer letzten Malerperiode!“ ätzt er und malt Kriegsbilder wie „Kain“ und das „Porträt des Großadmirals Alfred von Tirpitz“ (beide 1917).

Nach dem Untergang des Kaiserreiches taucht Lovis Corinth im Landhaus der Familie am Walchensee ab, um dort ab 1919, von Charlotte umsorgt, seine letzten Lebensjahre zu verbringen und die Idylle von See und Berg in Landschaftsbildern festzuhalten, die zu seinen schönsten Werken zählen – und sich auch bestens verkaufen. „Es wurden einem förmlich die Bilder von der Staffelei gerissen“, berichtet der Maler. Zudem würdigt man sein Werk in großen Ausstellungen, 1923/24 etwa in Berlin, Zürich und Königsberg.

1925 begibt sich Lovis Corinth nach Amsterdam, um Rembrandts Werke noch einmal zu sehen. Es wird seine letzte Reise: Am 17. Juli 1925 stirbt der große Maler in Zandvoort an einer Lungenentzündung.

 

Nach dem Tod des Ehemanns ist Charlotte Berend-Corinth als Künstlerin erfolgreich, zunächst in Deutschland, nach der Emigration auch in den USA. Sie schreibt Bücher und stellt unter dem Titel „Die Gemälde von Lovis Corinth“ das Werkverzeichnis zusammen, das 1958 im Bruckmann Verlag veröffentlicht wird und bis heute Standard ist. 1967 stirbt Charlotte Berend-Corinth in New York.

 

 

Lovis Corinth ist eine Schlüsselgestalt der Moderne. Sein Werk vollzieht den Sprung vom 19. Jahrhundert in die Moderne, vom Realismus über den Impressionismus hin zum Expressionismus. Da sich in seinen Arbeiten unterschiedlichste Stilelemente aus vielen Jahrzehnten finden, widersetzt sich sein Schaffen jedoch einer Einordnung in den tradierten Kunstkanon. Und gerade das macht die Auseinandersetzung mit dem Künstler so spannend. Lovis Corinths Œuvre umfasst über tausend Gemälde sowie ähnlich viele Aquarelle, Zeichnungen und Graphiken. Sie befinden sich in bedeutenden nationalen und internationalen Galerien und Museen – oder werden auf Auktionen angeboten, um dort Höchstpreise zu erzielen. Nun lädt unser Gemälde „Unter dem Kronleuchter“ zum Bietgefecht ein. 

ERNST LUDWIG KIRCHNER
ALP 
TRAUM

Von NEUMEISTER-Expertin Susanne Richter M. A.


Mit unserer „Stafelalp“ kommt bei der März-Auktion eine außergewöhnliche Arbeit Ernst Ludwig Kirchners zum Aufruf. Das 1918 in den Schweizer Bergen bei Davos entstandene Blatt ist ein wunderbares Beispiel für die Abkehr des Expressionisten von der Großstadt und seiner Hinwendung zu den Bergen, in denen Kirchner Ruhe und neue Kraft findet.