Carl Spitzweg - Der Antiquar

Auktion 404, Kat.-Nr. 337

FRüHJAHRSAUKTION

am 31. März 2022

Carl Spitzweg

Der Antiquar

Schätzpreis:
€ 45.000 bis € 50.000

Differenzbesteuerung    

Ergebnis:
€ 48.100 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

Beschreibung:

Carl Spitzweg

1808 München - 1885 ebenda

 

Der Antiquar

 

 

Rücks. Nachlass-Stempel. Öl auf Papier auf Lwd. 29,5 x 23,3 cm. Rest. Min. besch. Rahmen min. besch. (38 x 32 cm).

 

Auf dem Keilrahmen bezeichnet. Ebda. Klebeetikett "Eigentümer K. Loreck Major a. D." mit Nummerierung 6. Weitere hs. Nummerierung &, altes Klebeetikett mit Nummerierung 26. Auf Keilrahmen und Rahmenrückseite Klebeetikett mit Nummer 21, ebenso neuere Nummerierung 10. Auf der Rahmenrückseite Klebeetikett der Spedition Hasenkamp, Ausstellung Spitzweg [1985] mit Nummerierung 37.

 

Der Antiquar hat seinen Stand auf einem kleinen Platz einer verwinkelten Stadt aufgeschlagen. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er im Schutz einer schattenspendenden Markise, in ein kleines Buch vertieft. Der bereits etwas ältere Buchhändler trägt einen aus der Mode gekommenen dunklen Rock, auf dem Kopf eine Schildmütze. Das Lesen erleichtert ihm eine Brille, die auf der ausgeprägten runden Nase sitzt. Auch bei der Hauswand hat der Antiquar seine Schätze ausgebreitet, bunt leuchten die Rücken der Bücher im einfallenden Sonnenlicht. An der Mauer angeheftet Graphiken. Im Schatten entfernt sich eine junge Dame in Richtung einer engen Häuserschlucht. Das Motiv des "Antiquars" zählt wie der "Bücherwurm" zu den populären Arbeiten Carl Spitzwegs. Über mehrere Jahre beschäftigte sich der Künstler mit der Ausarbeitung der Komposition, das vorliegende Werk stellt das früheste Dokument dieses "Findungsprozesses" dar. Bei zwei später entstandenen Gemälden, die von Siegfried Wichmann um 1850 bzw. um 1856 datiert werden (beide in Privatbesitz; Wichmann, s. u., WVZ-Nr. 329 und 330) finden wir schließlich eine großzügiger angelegte verschattete Gasse rechts, auf ihr zwei, die Stufen einer Treppe hochsteigende junge Damen, nach der neuesten Mode gekleidet. Die Graphiken auf der Hauswand sind hier deutlich zu identifizieren: Es handelt sich um Reproduktionen nach Spitzwegs "Bücherwurm" und nach einem Landschaftsgemälde im Stil Claude Lorrains. Dass Carl Spitzweg bei den späteren Gemälden eine seiner eigenen Schöpfungen, den "Bücherwurm", zitiert, lässt auf einen autobiographischen Bezug schließen. Der nicht mehr ganz junge Händler (wie der Künstler selbst mit einer auffallenden Nase gesegnet und Brillenträger!) ist vertieft in "seine Welt", in diesem Falle die Bücher. Aber fühlte Spitzweg sich seinen Gemälden nicht ebenso verbunden wie der Antiquar seinen Büchern? Hatte nicht auch er einen größeren Vorrat von Gemälden in seinem Atelier, die sich bisweilen eher schleppend verkauften? Ein Vergleich mit seinem vor wenigen Jahren bei NEUMEISTER versteigerten "Historienmaler" (um 1843) drängt sich hier förmlich auf: Der Künstler steht ratlos vor seinen Gemälden, die von Ausstellungen unverkauft zurückkamen, hilflos der Glücksgöttin Fortuna in Form einer Skulptur ausgeliefert, der er eine Narrenkappe aufgesetzt hat. "Jeder hat seinen Thron." lautet die eigenhändige Bezeichnung Carl Spitzwegs auf einer den sitzenden Antiquar vorbereitenden Studie (Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum, Inv.-Nr. G 1916/1). Der etwas weltfremde Antiquar "thront" vor seiner Ware, das Leben geht an ihm vorbei. Und dies im Wortsinn: Er nimmt nicht die leichtfüßig die Stufen hinaufschwebende junge Frau wahr, gekleidet in fließenden Stoff, das - für die Mitte des 19. Jahrhunderts - großzügige Rückendecolleté, welches den Blick auf einen wohlgeformten Nacken freigibt, beeindruckt ihn in keiner Weise. Oder ist die elfengleiche Schönheit, nach der schemenhaften Wiedergabe der Gestalt zu schließen, am Ende eine Traumfigur, der offensichtlich fesselnden Lektüre des Antiquars entsprungen? "Thronen": Sich über den schnöden Alltag erheben, der Welt auch entfremdet sein, für andere so unerreichbar scheinend wie die Freuden des Alltags für den Thronenden selbst. Ein Spiegel des Künstlers Spitzweg, in seinem "Elfenbeinturm" unbeirrt schaffend, der Welt entrückt? Vgl. Roennefahrt, Günther, Carl Spitzweg. Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle. München 1960, S. 287, WVZ-Nr. 1355 "Der Antiquar" (mit Abb.): Abbildung offenbar des vorliegenden Gemäldes. Die technischen Daten "Ölskizze auf Z[igarrenkisten].-Holz, 32 x 24 cm" mit der Angabe "rücks. signiert" jedoch abweichend. Hinweis auf die Spitzweg-Ausstellung in der Münchener Galerie Thannhauser, September 1916, Kat. 66. Die Angabe Roennefahrts "Privatbesitz in Wuppertal" ebenfalls nicht zutreffend. Literatur: Wichmann, Siegfried, Carl Spitzweg und die französischen Zeichner. Daumier - Grandville - Gavarni - Doré. Ausst.-Kat. München, Haus der Kunst, 23. November 1985 - 2. Februar 1986. Herrsching 1985, S. 463, Kat.-Nr. 393 (mit Abb. S. 252). - Ders., Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke - Gemälde und Aquarelle. Stuttgart 2002, S. 208, WVZ-Nr. 328 (mit Abb.): dort um 1847/48 datiert. Die dort erwähnten Gutachten Adolf Alt, München, 26. Juli 1928 und Eberhard Hanfstaengl, München, 13. Juni 1950 nicht vorliegend.

 

Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland.



Signatur-Bez-Recto:
Rücks. Nachlass-Stempel
Technik:
Öl auf Papier
Träger:
auf Lwd
Maße:
29,5 x 23,3 cm
Zustand:
Rest. Min. besch
Rahmen:
Rahmen min. besch. (38 x 32 cm)
Provenienz:
Privatsammlung Süddeutschland.
Kommentar:
Der Antiquar hat seinen Stand auf einem kleinen Platz einer verwinkelten Stadt aufgeschlagen. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er im Schutz einer schattenspendenden Markise, in ein kleines Buch vertieft. Der bereits etwas ältere Buchhändler trägt einen aus der Mode gekommenen dunklen Rock, auf dem Kopf eine Schildmütze. Das Lesen erleichtert ihm eine Brille, die auf der ausgeprägten runden Nase sitzt. Auch bei der Hauswand hat der Antiquar seine Schätze ausgebreitet, bunt leuchten die Rücken der Bücher im einfallenden Sonnenlicht. An der Mauer angeheftet Graphiken. Im Schatten entfernt sich eine junge Dame in Richtung einer engen Häuserschlucht. Das Motiv des "Antiquars" zählt wie der "Bücherwurm" zu den populären Arbeiten Carl Spitzwegs. Über mehrere Jahre beschäftigte sich der Künstler mit der Ausarbeitung der Komposition, das vorliegende Werk stellt das früheste Dokument dieses "Findungsprozesses" dar. Bei zwei später entstandenen Gemälden, die von Siegfried Wichmann um 1850 bzw. um 1856 datiert werden (beide in Privatbesitz; Wichmann, s. u., WVZ-Nr. 329 und 330) finden wir schließlich eine großzügiger angelegte verschattete Gasse rechts, auf ihr zwei, die Stufen einer Treppe hochsteigende junge Damen, nach der neuesten Mode gekleidet. Die Graphiken auf der Hauswand sind hier deutlich zu identifizieren: Es handelt sich um Reproduktionen nach Spitzwegs "Bücherwurm" und nach einem Landschaftsgemälde im Stil Claude Lorrains. Dass Carl Spitzweg bei den späteren Gemälden eine seiner eigenen Schöpfungen, den "Bücherwurm", zitiert, lässt auf einen autobiographischen Bezug schließen. Der nicht mehr ganz junge Händler (wie der Künstler selbst mit einer auffallenden Nase gesegnet und Brillenträger!) ist vertieft in "seine Welt", in diesem Falle die Bücher. Aber fühlte Spitzweg sich seinen Gemälden nicht ebenso verbunden wie der Antiquar seinen Büchern? Hatte nicht auch er einen größeren Vorrat von Gemälden in seinem Atelier, die sich bisweilen eher schleppend verkauften? Ein Vergleich mit seinem vor wenigen Jahren bei NEUMEISTER versteigerten "Historienmaler" (um 1843) drängt sich hier förmlich auf: Der Künstler steht ratlos vor seinen Gemälden, die von Ausstellungen unverkauft zurückkamen, hilflos der Glücksgöttin Fortuna in Form einer Skulptur ausgeliefert, der er eine Narrenkappe aufgesetzt hat. "Jeder hat seinen Thron." lautet die eigenhändige Bezeichnung Carl Spitzwegs auf einer den sitzenden Antiquar vorbereitenden Studie (Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum, Inv.-Nr. G 1916/1). Der etwas weltfremde Antiquar "thront" vor seiner Ware, das Leben geht an ihm vorbei. Und dies im Wortsinn: Er nimmt nicht die leichtfüßig die Stufen hinaufschwebende junge Frau wahr, gekleidet in fließenden Stoff, das - für die Mitte des 19. Jahrhunderts - großzügige Rückendecolleté, welches den Blick auf einen wohlgeformten Nacken freigibt, beeindruckt ihn in keiner Weise. Oder ist die elfengleiche Schönheit, nach der schemenhaften Wiedergabe der Gestalt zu schließen, am Ende eine Traumfigur, der offensichtlich fesselnden Lektüre des Antiquars entsprungen? "Thronen": Sich über den schnöden Alltag erheben, der Welt auch entfremdet sein, für andere so unerreichbar scheinend wie die Freuden des Alltags für den Thronenden selbst. Ein Spiegel des Künstlers Spitzweg, in seinem "Elfenbeinturm" unbeirrt schaffend, der Welt entrückt? Vgl. Roennefahrt, Günther, Carl Spitzweg. Beschreibendes Verzeichnis seiner Gemälde, Ölstudien und Aquarelle. München 1960, S. 287, WVZ-Nr. 1355 "Der Antiquar" (mit Abb.): Abbildung offenbar des vorliegenden Gemäldes. Die technischen Daten "Ölskizze auf Z[igarrenkisten].-Holz, 32 x 24 cm" mit der Angabe "rücks. signiert" jedoch abweichend. Hinweis auf die Spitzweg-Ausstellung in der Münchener Galerie Thannhauser, September 1916, Kat. 66. Die Angabe Roennefahrts "Privatbesitz in Wuppertal" ebenfalls nicht zutreffend. Literatur: Wichmann, Siegfried, Carl Spitzweg und die französischen Zeichner. Daumier - Grandville - Gavarni - Doré. Ausst.-Kat. München, Haus der Kunst, 23. November 1985 - 2. Februar 1986. Herrsching 1985, S. 463, Kat.-Nr. 393 (mit Abb. S. 252). - Ders., Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke - Gemälde und Aquarelle. Stuttgart 2002, S. 208, WVZ-Nr. 328 (mit Abb.): dort um 1847/48 datiert. Die dort erwähnten Gutachten Adolf Alt, München, 26. Juli 1928 und Eberhard Hanfstaengl, München, 13. Juni 1950 nicht vorliegend.