Jeanne Mammen - Vor der Theaterkasse. Um 1932
Auktion 60, Kat.-Nr. 1
KLASSISCHE MODERNE, POST WAR & CONTEMPORARY ART
am 7. Dezember 2016
Jeanne Mammen
Vor der Theaterkasse. Um 1932
Differenzbesteuerung
Mammen, Jeanne
1890 Berlin - 1976 ebenda
Vor der Theaterkasse. Um 1932
Tuschfeder und Aquarell über Bleistift auf Aquarellpapier
39 x 34,5 (blattgroß) cm
Rechts oben mit Bleistift signiert "J. Mammen".
Werkverzeichnis: Döpping/Klünner A429
Provenienz: Privatbesitz Norddeutschland / Auktion Ketterer Kunst 27./28.10.2006, Lot 319 / Privatbesitz Süddeutschland
Literatur: Simplicissimus, Heft 32, 37. Jg. , November 1932, Farbabb. S. 466 ( bez. "Ersatz").
Ausstellung: Galerie Brockstedt, Hamburg 1971
Danksagung: Wir danken Frau Cornelia Pastelak-Price, Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V., Berlin, für die freundliche Bestätigung der Authentizität und für die wissenschaftliche Auskunft
Jeanne Mammens Darstellung von Menschen, die vor der Theaterkasse anstehen, um Karten für eine Uraufführung zu kaufen, ist mehr als eine beiläufige Skizze - vielmehr zielt sie als Gesellschaftsstudie mitten ins Herz der Goldenen Zwanziger Jahre in Berlin. Die aus einem großbürgerlichen Elternhaus stammende und in Paris, Brüssel und Rom ausgebildete Künstlerin war seit der Verarmung der Familie schon früh gezwungen sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ihre Illustrationen von Büchern, Modejournalen und Gesellschaftszeitschriften, ihre Entwürfe für Film- und Werbeplakate und die Zeichnungen für sozialkritische Blätter wie den Simplizissimus waren bald sehr gefragt. Sie führten um die Mitte der 1920er Jahre zum Höhepunkt ihres künstlerischen Erfolgs, der 1930 durch eine erste Einzelausstellung in der renommierten Galerie von Fritz Gurlitt gekrönt wurde.
Mit scharfer Beobachtungsgabe widmet sich Jeanne Mammen in einem großen Werkkomplex der großstädtischen Vergnügungswelt der Kleinbürger und Neureichen. Aus der Gruppe der Theaterbesucher stechen zwei modisch gekleidete junge Frauen und ein Mann mit prägnantem Profil hervor, deren Konturen sie mit sicherem Strich erfasst. Ihr Realismus zielt nicht wie bei George Grosz und Otto Dix - den berühmten männlichen Zeitgenossen und Vertretern einer sozialkritischen Kunst - auf die Bloßlegung menschlicher Schwächen und auf deren karikaturistische Überzeichnung. Gleichwohl gelingt es der Künstlerin, die Vergnügungssucht der Zwanziger Jahre als Flucht vor der schleichenden Verschlechterung der ökonomischen und politischen Verhältnisse zu entlarven. Der einzelne Mensch ist getrennt vom anderen, die bürgerliche Fassade wirkt hohl, die maskenhaft-ernsten Gesichter verraten die innere Spannung und lassen auf die tatsächliche Befindlichkeit der Gesellschaft schließen.