- Ein Paar Girandolen, zweiflammig

Auktion 401, Kat.-Nr. 131

SOMMERAUKTION

am 23. Juni 2021

 

Ein Paar Girandolen, zweiflammig

Schätzpreis:
€ 4.000 bis € 5.000

Differenzbesteuerung    

Ergebnis:
€ 9.525 (inkl. 27 % Käuferaufgeld)

Beschreibung:

Ein Paar Girandolen, zweiflammig

Frankreich (Paris), 18. Jh.

 

Bronze, vergoldet. Spiralig gewundener Schaft über geschweiftem Fuß mit Blumenranke. Geschweifte Rankenarme um zentralen Blattschaft. Rest., min. besch. Bohrlöcher für Elektrifizierung. Die Rankenarme abnehmbar. H. 44 cm.

 

Phantasievoll, verspielt, spontan, beinahe wild - mit diesen Adjektiven könnte man die Gestaltung des Paars Kerzenleuchter beschreiben, die durch einen Aufsatz auch als zweiflammige Girandolen genutzt werden können.

Die herkömmliche Gliederung des Leuchters in Fuß, vertikalen Schaft und Traufschale verschmilzt hier zu einer organischen Einheit aus Palmblättern in S-Schwüngen. Ausgehend von einer asymmetrischen Basis schrauben sie sich in spiralförmiger Bewegung bis zu der unregelmäßig geformten Tülle. Der Kontrast zwischen den polierten und matten Oberflächen der vergoldeten Bronzen steigert dabei noch den Eindruck von Dynamik und Lebendigkeit.

Ihre virtuose Formensprache entstammt dem sogenannten "Style Rocaille", den der französische Goldschmied und Ornamentstecher Juste Aurèle Meissonnier (1695-1750) begründete. 1734 erschienen seine "Livres dornements en trente pièces", in denen er Vorlagen für Kunsthandwerker in einem ganz neuartigen, von Naturformen inspirierten Stil vorstellte. Charakteristika sind Asymmetrie, unregelmäßiger Umriss, Bewegung, bis hin zur Loslösung vom Objekt.

Zeitgenössische Kritiker empfanden diesen "Style Rocaille" als willkürlich und keiner Ordnung folgend. So spottete der Zeichner Nicolas Cochin 1754 im "Mercure de France" in einer "Bitte an die Goldschmiede, Ziseleure und Holzbildhauer": "Wir wären Ihnen unendlich verpflichtet, wenn Sie so freundlich wären, nicht Sinn und Bestimmung der Dinge zu ändern und sich zu erinnern, zum Beispiel, daß ein Kerzenhalter gerade und vertikal geformt sein sollte, um eine Kerze zu tragen, und nicht gewunden, als ob ihn jemand verbogen hätte, daß eine Tropfschale am Kerzenhalter konkav sein sollte, um das Wachs aufzufangen, das herunterläuft, und nicht konvex, um es auf das Tischtuch unter dem Kerzenhalter tropfen zu lassen." (Zit. nach Ottomeyer, Hans / Pröschel, Peter: Vergoldete Bronzen. Die Bronzearbeiten des Spätbarock und Klassizmus. Bd. 1. München 1986, S. 99.)

Dementsprechend knüpfte man im Paris der Jahrhundertmitte bald wieder die klassische, an der Antike orientierte Formensprache an, wobei der "Style Rocaille" noch eine Weile neben dem Frühklassizismus weiterexistierte.

Begeistert aufgenommen wurde er in hingegen in Deutschland, und hier vor allem im Süden: Dies war in erster Linie das Verdienst von François Cuvilliés, der die Rocaille als Ornamentform 1720/25 in Paris kennengelernt und bald danach am Hof des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel eingeführt hatte. Seine "Reichen Zimmer" der Münchener Residenz oder etwa die Amalienburg im Schlosspark von Nymphenburg sind ikonische Werke des deutschen Rokoko und bis heute überwältigende Zeugnisse dieser Begeisterung für die Rocaille.

 

 

 

Provenienz: Christies London Auktion The European Conoisseur. 500 Years Decorative Arts Europe, 06.07.1992, lot 37 (mit Zuschreibung an Caffieri) - norddeutsche Privatsammlung.



Datierung:
18. Jh.


Maße:
H. 44 cm
Zustand:
Rest., min. besch. Bohrlöcher für Elektrifizierung. Die Rankenarme abnehmbar
Provenienz:
Christies London Auktion The European Conoisseur. 500 Years Decorative Arts Europe, 06.07.1992, lot 37 (mit Zuschreibung an Caffieri) - norddeutsche Privatsammlung.
Kommentar:
Phantasievoll, verspielt, spontan, beinahe wild - mit diesen Adjektiven könnte man die Gestaltung des Paars Kerzenleuchter beschreiben, die durch einen Aufsatz auch als zweiflammige Girandolen genutzt werden können. Die herkömmliche Gliederung des Leuchters in Fuß, vertikalen Schaft und Traufschale verschmilzt hier zu einer organischen Einheit aus Palmblättern in S-Schwüngen. Ausgehend von einer asymmetrischen Basis schrauben sie sich in spiralförmiger Bewegung bis zu der unregelmäßig geformten Tülle. Der Kontrast zwischen den polierten und matten Oberflächen der vergoldeten Bronzen steigert dabei noch den Eindruck von Dynamik und Lebendigkeit. Ihre virtuose Formensprache entstammt dem sogenannten "Style Rocaille", den der französische Goldschmied und Ornamentstecher Juste Aurèle Meissonnier (1695-1750) begründete. 1734 erschienen seine "Livres dornements en trente pièces", in denen er Vorlagen für Kunsthandwerker in einem ganz neuartigen, von Naturformen inspirierten Stil vorstellte. Charakteristika sind Asymmetrie, unregelmäßiger Umriss, Bewegung, bis hin zur Loslösung vom Objekt. Zeitgenössische Kritiker empfanden diesen "Style Rocaille" als willkürlich und keiner Ordnung folgend. So spottete der Zeichner Nicolas Cochin 1754 im "Mercure de France" in einer "Bitte an die Goldschmiede, Ziseleure und Holzbildhauer": "Wir wären Ihnen unendlich verpflichtet, wenn Sie so freundlich wären, nicht Sinn und Bestimmung der Dinge zu ändern und sich zu erinnern, zum Beispiel, daß ein Kerzenhalter gerade und vertikal geformt sein sollte, um eine Kerze zu tragen, und nicht gewunden, als ob ihn jemand verbogen hätte, daß eine Tropfschale am Kerzenhalter konkav sein sollte, um das Wachs aufzufangen, das herunterläuft, und nicht konvex, um es auf das Tischtuch unter dem Kerzenhalter tropfen zu lassen." (Zit. nach Ottomeyer, Hans / Pröschel, Peter: Vergoldete Bronzen. Die Bronzearbeiten des Spätbarock und Klassizmus. Bd. 1. München 1986, S. 99.) Dementsprechend knüpfte man im Paris der Jahrhundertmitte bald wieder die klassische, an der Antike orientierte Formensprache an, wobei der "Style Rocaille" noch eine Weile neben dem Frühklassizismus weiterexistierte. Begeistert aufgenommen wurde er in hingegen in Deutschland, und hier vor allem im Süden: Dies war in erster Linie das Verdienst von François Cuvilliés, der die Rocaille als Ornamentform 1720/25 in Paris kennengelernt und bald danach am Hof des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel eingeführt hatte. Seine "Reichen Zimmer" der Münchener Residenz oder etwa die Amalienburg im Schlosspark von Nymphenburg sind ikonische Werke des deutschen Rokoko und bis heute überwältigende Zeugnisse dieser Begeisterung für die Rocaille.