TANZEN. BIS IN DIE PUPPEN.
PAUL SCHEURICH


 Von NEUMEISTER-Expertin Dr. Bärbel Wauer

 

Noch heute legen Verehrer Ballett-Schläppchen und Blumen an Sergej Djagilews Grab auf Venedigs Friedhofsinsel San Michele ab. Im August 1929 starb der Mann, der das Ballett revolutionierte, in seiner Lieblingsstadt. Djagilew schrieb Ballettgeschichte – und inspirierte den Porzellanmaler Paul Scheurich.  

 

"Erstens bin ich ein großer Scharlatan; zweitens ein großer Charmeur; drittens bin ich ziemlich dreist; viertens bin ich ein Mann mit erheblicher Logik und wenigen Prinzipien – und fünftens sieht es so aus, als habe ich kein wirkliches Talent. Trotzdem denke ich, habe ich meine wahre Berufung gefunden: ein Schutzherr der Künste zu sein“, beschrieb sich Sergej Djagilew selbst. Der Mann mag viel Porzellan zerbrochen haben, doch seine geniale Neuerfindung des Balletts wird als Lebensleistung bleiben. 

Es beginnt am 19. Mai 1909: Paris feiert die Premiere der „Ballets Russes“, einer von Sergej Djagilew neu zusammengestellten russischen Tanztruppe. Es folgt ein weltweiter Siegeszug mit legendären Aufführungen wie „Les Sylphides“ (1909), „Der Feuervogel“ (1910), „Scheherazade“ (1910) und „Petruschka“ (1911). Die neue, kraftvolle Blüte des Balletts dauert 20 Jahre, bis zum frühen Tod Djagilews, dessen Ideen nicht nur den Bühnentanz bis heute prägen, sondern auch viele andere Kunstbereiche beeinflussen. 

Der Impressario hat einen Blick für Talente. In seiner Balletttruppe dürfen nur die Besten mitwirken, allen voran die Meistertänzerinnen Anna Pawlowa und Tamara Karsawina sowie Vaslav Nijinsky, der „Gott des Tanzes“. Leon Baks entwirft für die Aufführungen sinnlich-fantastische Bühnenkostüme. Sie sind Kunstwerke für sich und werden für Paul Scheurich (1883 – 1945) zur Inspirationsquelle. 

 

Das Russische Ballett schlägt das Publikum in seinen Bann. Jeder der stets ausverkauften Theaterabende ist ein Ereignis, und die oft exotisch-erotischen Balletthandlungen regen die Phantasie an. In Paris kleiden sich Damen „à l’orientale“ mit Turban und Federn, um in eine Welt einzutauchen und Nijinskys fast schwerelos wirkende Sprünge zu bewundern. 

Das russische Tanzensemble geht regelmäßig auf Tournee, begeistert die Metropolen Europas. Auch in Deutschland gastiert Sergej Djagilews Truppe seit 1910 mehrfach. Und einmal sitzt auch Paul Scheurich im Publikum. Wahrscheinlich sieht er Anfang 1912 das zweite Gastspiel des Ensembles in Berlin: die Ballettpantomime „Karneval“, in Choreographie von Michail Fokin zu einer Orchesterfassung von Robert Schumanns Klavierzyklus „Le Carnaval“ mit Vaslav Nijinsky als Harlekin. Die Aufführung muss den Maler, Grafiker und Plastiker schwer beeindruckt haben, denn noch im gleichen Jahr setzt er sich in Radierungen mit dem Thema auseinander und schon ein Jahr später werden seine fünf Karneval-Figuren aus dem Russischen Ballett erstmals in Meissener Porzellan ausgeformt – und über die Jahre ein riesiger Verkaufserfolg. 


 

„Jedes Genre ist erlaubt, nur das langweilige nicht. Diesen hübschen Satz von Voltaire möchte ich durch einen zweiten auch klassischen ergänzen: Vive la bagatelle.“

Paul Scheurich

 

Ballett bleibt für Paul Scheurich immer ein Thema. Noch 1930 erstellt er die zweifigurige Gruppe „Petruschka“, benannt nach einer Aufführ - ung des Russischen Balletts, das 1912 mit Vaslav Nijinsky als Titelfigur und Tamara Karsawina als Ballerina in Berlin zu sehen war. Puppenhaft und grazil bewegen sich Tänzerin und Tänzer mit Drehorgel in Scheurichs Porzellankunstwerk zu Igor Strawinskys Musik. 

Paul Scheurich, gilt als einer der bedeutendsten Porzellanplastiker in der ersten Hälfte des 20. Jahr - hunderts. Von 1918 bis 1936 hatte er einen ExklusivVertrag und eine Professur an der Meissener Porzellanmanufaktur inne und verhalf dem Meissener Porzellan in dieser Zeit zu neuem Glanz. Seine von Oper und Ballett inspirierten Figuren, die den besten figurativen Schöpfungen aus Zeiten des Rokoko ebenbürtig sind, werden bei NEUMEISTER immer wieder zu Höchstpreisen versteigert, selten jedoch kann ein so umfassendes Konvolut aufgerufen werden wie in der März-Auktion. Maskentänzer, Spanische Tänzerinnen und auch „Petruschka“ werden dann in der Barer Straße Musik ins Spiel bringen. 


MEHR AUS MEISSEN


 

 


 

UHR MIT DAME UND HUND
Meissen, Paul Scheurich, 1937 – 48

 

AUKTION 408 // LOT 74
ERGEBNIS 
€ 3.640 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

 

 

"Chiarina"
Meissen, Paul Scheurich, 1924-1934

auction 408, Lot 71

estimate € 2.000 to € 2.300
result € 2.600 (incl. 30 % buyer's premium)

A mask dancer
Meissen, Paul Scheurich, 1924-1934

auction 408, Lot 73

estimate € 1.000 to € 1.200
result € 1.300 (incl. 30 % buyer's premium)

Petrushka
Meissen, Paul Scheurich, 1985

auction 408, Lot 647

estimate € 1.500 to € 2.000
result € 5.200 (incl. 30 % buyer's premium)

Spanish man with lute
Meissen, Paul Scheurich, 1990

auction 408, Lot 649

estimate € 1.500 to € 1.800
result € 1.950 (incl. 30 % buyer's premium)

HIGHLIGHTS AUKTION KUNSTHANDWERK UND ANTIQUITÄTEN

29. MÄRZ AB 12 UHR