Beruf und BERUFUNG


Die Benediktinerabtei Venio OSB vereint weltliches und geistliches Leben. Ein Gespräch mit Äbtissin Carmen Tatschmurat. 

 

VON KATJA KRAFT

 

Der Ring an Carmen Tatschmurats Finger zeugt von einer Entscheidung, die alles verändert hat. Die 72-Jährige hat nicht geheiratet – und doch einen Bund fürs Leben geschlossen. „Credidimus Caritati“ ist in das Gold eingraviert. „Wir haben an die Liebe geglaubt.“ Es ist der Bibelvers, den jede Schwester der Abtei Venio OSB am Finger trägt. Carmen Tatschmurat tut es seit 25 Jahren. 

Genauer: Professorin Tatschmurat. Sie hat vor ihrer Emeritierung viele Jahre Soziologie an der katholischen Stiftungshochschule München gelehrt. Und gleichzeitig im Kloster gelebt. Das ist kein Widerspruch. Die Benediktinerabtei, in der sie ihr Zuhause gefunden hat, vereint weltliches und geist - liches Leben. „Wir Schwestern bleiben auch nach dem Klostereintritt in unseren Berufen. Und wir gehen in zivil. Nur beim gemeinsamen Gebet und in den Gottesdiensten tragen wir Chormantel und Schleier“, erzählt Tatschmurat.

Eben diese Verbundenheit mit dem Leben außerhalb der Klostermauern ist, was sie dazu brachte, in genau diese Abtei im Münchner Stadtteil Nymphenburg einzutreten. Eine wunderschöne Altbau-Villa unweit des Kanals, im verwunschenen Garten eine Tischtennisplatte. Auf den ersten Blick lässt einen nichts erahnen, dass hier (zurzeit 17) Klosterschwestern leben. Doch wer jetzt vermutet: Villa in Nymphenburg, die lassen es sich ja gut gehen, die Nonnen, liegt falsch. Im Inneren spartanische Einrichtung. Leere weiße Wände, karge Möbelausstattung. Und: Die Kirche zahlt keinen Cent. „Wir zahlen das alles selbst. Wir leben nur von dem, was wir selbst verdienen. Das finde ich wunderbar. Ich möchte nicht abhängig sein“, betont Tatschmurat.

Sie ist ein Freigeist. Geprägt von ihren Eltern. Der turkmenische Vater arbeitete für den US-Sender Radio Free Europe, über den das Münchner Stadtmuseum und das Jüdische Museum gemeinsam noch bis 5. März 2023 die sehenswerte Ausstellung „Radio Free Europe. Stimmen aus München im Kalten Krieg“ zeigen. Carmen Tatschmurat selbst war immer sehr erfolgreich in ihrem Beruf, hatte eine eigene Wohnung, ein Auto, war durch und durch selbstständig. Wie kommt eine so freiheitsliebende Frau dazu, ins Kloster einzutreten? „Ja, das ist immer die Frage – und auch gar nicht so leicht zu erklären“, sagt sie, und versucht es dann doch. „Im Grunde ist es natürlich tatsächlich völlig verrückt: Ich hatte eine Professur, ich hatte eine Wohnung, hab ganz normal gelebt. Hab auch eine Beziehung gelebt, allerdings ist mein Partner gestorben, er war älter als ich. Irgendwann mit Anfang, Mitte 40 habe ich mich gefragt: Ist das jetzt alles?“

So kam eine frühere Sehnsucht wieder auf, ein sehnendes Suchen nach – was, das wusste sie da noch nicht so recht. Tatschmurat machte eine Fortbildung zur Supervisorin, eine weitere zur Begleitung in geistigen und spirituellen Prozessen. „Dann war ich zufällig zu Besuch in einem Kloster in Bernried – und habe gedacht: Das ist es. Gleichzeitig wusste ich aber: Das ist es nicht. Denn das war ein Kloster von Missions-Benediktinerinnen, die in der ganzen Welt unterwegs sind und auch im Habit gehen. Das hat mich zwar fasziniert, doch ich wusste, dass es nicht mein Weg ist.“ In der Abtei Venio OSB fand sie schließlich ihre Gemeinschaft.

In Zivil: Äbtissin Carmen Tatschmurat im verwunschenen Garten ihrer Abtei. Man sieht sie und ihre Ordensschwestern manchmal im Habit und manchmal ohne. Das gehört von Beginn an zum Profil und
Selbstverständnis einer Gemeinschaft zwischen Berufsleben und Gottesdienst.
Die Abtei Venio OSB in München verbindet monastisches Leben mit Berufstätigkeit in verschiedensten Feldern.
Die 17 Schwestern sind zum Beispiel als Krankenschwester, Ärztin, Lehrerin oder EDV-Verantwortliche in ihren jeweiligen Arbeitsstätten in der Stadt tätig.

Wer hier aufgenommen werden möchte, muss erfüllen, was seit 1500 Jahren schon Tausende von 37 benediktinischen Ordensschwestern und -brüdern zuvor erfüllt haben: „Wir richten uns nach den Regeln des Heiligen Benedikt, der von 480 bis 547 nach Christus gelebt hat. Bei der Frage um die Aufnahme von neuen Brüdern und Schwestern in der Gemeinschaft nennt er im Grunde ein Hauptkriterium – und das ist, zu prüfen, ob diese Menschen wirklich Gott suchen.“ Sind sie vielleicht in Wahrheit nur auf der Suche nach Sicherheit oder Gemeinschaft? Häufig wissen sie es selbst nicht. Fünfeinhalb Jahre hat jedes potenzielle neue Mitglied in der Abtei Venio OSB Zeit, sich für oder gegen den Eintritt zu entscheiden. „Wenn man nicht wirklich auf der Spur der Gottsuche ist – was immer das dann auch heißt –, dann funktioniert das nicht auf Dauer“, betont Tatschmurat, die in ihren bisherigen 25 Klosterjahren, von denen sie elf als Oberin die Gemeinschaft leitete, manche Frau erlebt hat, die den Weg nicht weiter gegangen ist.

Manchmal auch wegen eines Mannes. Und da sind wir bei dem kniffligen Thema, das für viele Menschen einen Klostereintritt völlig ausschließt. Das Zölibat. Der Verzicht auf jeden Besitz, den das Klosterleben vorschreibt, fällt ihr nicht schwer, betont Tatschmurat. Aber wie ist es mit dem Verzicht auf eine Beziehung? Auch da eine klare Haltung bei der Frau, die überhaupt sehr klar und mit sich im Reinen wirkt. „Nein, das war meine Entscheidung – und sobald ich eine Entscheidung getroffen habe, fällt es mir nicht schwer, mit den Konsequenzen zu leben.“ Als Kind dieser Zeit fragt man vorsichtig, ob denn das Gebot der Ehelosigkeit nicht etwas anachronistisch sei. Warum man denn nicht Ordensschwester sein und gleichzeitig eine Beziehung leben kann. Ein mildes Lächeln bei Carmen Tatschmurat. Schon fühlt man sich ertappt. Spricht aus dieser Frage doch wieder einmal die unangenehme Haltung des modernen Menschen, alles auf einmal haben zu wollen. „Uns ist da ein bisschen der Mut zur Konsequenz verloren gegangen“, gibt sie zu bedenken. 

Letztlich auch, was den Glauben angeht. Ist das ihrer Meinung nach eigentlich eine gute Entwicklung, dass sich heute jeder seinen Glauben individuell zusammenschustern kann, oder haben wir damit auch etwas verloren? „Beides. Es ist natürlich ein Fortschritt und Glück, dass es diese ganz große Enge, die es in den Vierziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahren in Deutschland gab, so nicht mehr gibt. Gleichzeitig entstand so natürlich eine gewisse Beliebigkeit.“

Wohl auch deshalb finden manche junge Menschen wieder zurück zum christlichen Glauben mit klarem Wertekanon. Gerade erst sind zwei Mittdreißigerinnen in die Gemeinschaft gezogen. Was kann einem das Klosterleben heute geben? Carmen Tatschmurat überlegt. „Für mich ist es einfach die richtige Lebensform, die wie ein Geländer ist, durch das ich gut meinen Weg gehen kann. Sie gibt mir Halt. Und ist auch Korrektur, Warnung, wenn ich mich in meinen Gedanken und in meinem Tun verrenne.“

Das gemeinsame Gebet (dreimal am Tag), die regelmäßigen Gottesdienste, das Singen und Lesen von Psalmen und Bibelversen seien Tag für Tag kleine Wegweiser bei ihrer Gottsuche. „Und ständige Weiterentwicklung, geistig und spirituell.“ Ein Leben lang.

Außen mondän, innen spartanisch:
Eine Villa in Nymphenburg dient der Abtei als Domizil

➝ Vertical Growing


Im Saal der Abtei Venio OSB gibt es wechselnde Kunstausstellungen. Aktuell ist „Vertical Growing“ von Hildegard Mühlhoff zu sehen. Die 1968 geborene Künstlerin lebt in Wuppertal. Nach einem 30-jährigen erfüllten Berufsleben als Hebamme widmet sie sich seit 2020 der Malerei und anderen kreativen Ausdrucksformen. Suche und Wachstum sind wichtige Themen. „Vertical Growing“, da soll es hingehen!

Ein Besuch der Ausstellung ist nach vorheriger telefonischer Anmeldung möglich: T 089 17 95 986

Weitere Infos: www.venio-osb.org

„Wir leben nur von dem, was wir selbst verdienen. Das finde ich wunderbar. Ich möchte nicht abhängig sein“

 

 

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