WILD AT [HE ]ART
Wie das Münchner LENBACHHAUS von der Künstlerresidenz zum Museum von Weltrang wurde.
Text: Katja Kraft
Fotos: Michael Leis


Die Skulptur von Olafur Eliasson ist ein Hingucker im großen Foyer. Für Kunst am Bau stehen außerdem Installationen
von Dan Flavin und Michel Majerus sowie
Statuen von Max Ernst im Garten.
Was für eine Karriere! In einfachen Verhältnissen als dreizehntes Kind des Stadtmaurermeisters von Schrobenhausen aufgewachsen, schafft Franz von Lenbach (1836–1904) seit den 1870er-Jahren den Aufstieg zum gefeierten Porträtmaler. Er wird zum Inbegriff des Malerfürsten, weiß sich als weltgewandter und virtuoser Künstler zu inszenieren. Fehlt nur noch eine prächtige Residenz. „Ich gedenke mir einen Palast zu bauen, der das Dagewesene in den Schatten stellen wird; die machtvollen Zentren der europäischen großen Kunst sollen dort mit der Gegenwart verbunden sein“, kündigt Franz von Lenbach 1885 an.
In unmittelbarer Nähe zum Königsplatz errichtet ihm Stararchitekt Gabriel von Seidl zwischen 1887 und 1890 ein repräsentatives Ateliergebäude nebst schmucker Villa im toskanischen Stil und einem von Max Kolb gestalteten Garten mit Brunnen. Ein Zauberschloss, geschaffen zum stilvollen Leben und Arbeiten, perfekt auch für rauschende Feste und große Empfänge. Innen ist der Prachtbau üppig ausgestattet mit kostbaren antiken Skulpturen, seltenen Teppichen, Gobelins und Gemälden. Alles getaucht in geheimnisvolles Dämmerlicht, durchdacht bis ins Detail und auf harmonische Gesamtwirkung zielend. Über eine hauseigene Dynamomaschine komplett elektrifiziert, ausgestattet mit Dampfheizung, Bad und Fotoatelier, ist Lenbachs Heim zudem eines der modernsten Wohnhäuser Münchens.
Die Villa wird Treffpunkt der Gesellschaft. Alles was Rang und Namen hat, möchte sich von Lenbach in dessen unverwechselbarem Stil malen lassen. Und er porträtiert sie alle: Papst, Kaiser, Könige, Otto von Bismarck und andere namhafte Politiker sowie vornehme Damen und wichtige Herren des aufstrebenden Großbürgertums. An der Staffelei sitzt er stets im eleganten Anzug, die Öffentlichkeit lässt er im Schauatelier seiner Künstlerresidenz am Schaffensprozess teilhaben.
Von allem blieben nur Trümmer, nachdem Lenbachs Anwesen im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde. Die Repräsentationsräume im ersten Stock der Villa rekonstruierte man 1996 jedoch anhand alter Fotografien mit den originalen Möbeln und Objekten. Sie sind der Kunst Franz von Lenbachs gewidmet. In den 1920er-Jahren wird die Künstlerresidenz zum Museum. Möglich macht dies Lolo von Lenbach: Die Witwe des Künstlerfürsten schenkt der Stadt München 1924 ihr Heim, inklusive Inventar und zahlreicher Werke Franz von Lenbachs. Damit bekommt die bayerische Metropole endlich das ersehnte Museum, das der Münchner Schule des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart gewidmet sein soll. Nach einigen Umbauten ist dann auch genug Platz für Sammlungen und Ausstellungen. Am 1. Mai 1929 werden die Städtische Galerie und die darin integrierte Lenbachgalerie eröffnet.
Bis in die 1950er-Jahre positioniert sich das Lenbachhaus als regionaler Player. Was sich 1957 schlagartig ändert. Durch eine einzigartige Schenkung Gabriele Münters besitzt man plötzlich die weltweit größte Sammlung zur Kunst des Blauen Reiter und ist damit ein Museum von Weltrang. Fortan werden auch nicht mehr nur Münchner Künstler ausgestellt. Die Ausstellungen der 1970er- und 1980er-Jahre präsentieren zusehends die maßgeblichen Tendenzen des westlichen Kunstgeschehens. Das ist richtig spannend, kommt aber nicht bei allen gut an. So wird der Ankauf der Arbeit von Joseph Beuys „zeige deine Wunde“ 1979 kontrovers diskutiert. Heute können alle Etappen von Joseph Beuys’ plastisch-bildhauerischem Schaffen im ehemaligen Atelierflügel Franz von Lenbachs exemplarisch erfahren werden.
Seit den 1980er-Jahren sammelt das Lenbachhaus verstärkt internationale Gegenwartskunst. Heute umfasst die Museumssammlung unter anderem Werke von Joseph Beuys, Gerhard Richter, Günter Fruhtrunk, Rupprecht Geiger, Maria Lassnig, Sarah Morris und Isa Genzken. Schwerpunkte in der Abteilung Kunst nach 1945 sind abstrakte Werke, die an Bestrebungen der Moderne anknüpfen. Auch die Geschichte der Konzeptkunst und der Neuen Medien, insbesondere der Videokunst, sowie die künstlerische Auseinandersetzung mit populären Themen von der Pop Art bis zu zeitgenössischen Positionen spielen eine bedeutende Rolle.
„Unser Ziel ist es, die Kunst an ein breit gefächertes Publikum zu vermitteln, wobei das Neue und Bewegende Vorrang vor allgemeiner Akzeptanz hat. Als sozialer Ort wollen und müssen wir uns auch um die gesellschaftlichen Problemfelder kümmern“, erklärt Mathias Mühling. Und so sucht der aktuelle Direktor des Lenbachhauses mit seinem Team das, was jenseits des Mainstreams spannend sein könnte und geht Themen wie Kolonialismus, strukturellen Rassismus und Diskriminierung offensiv an. Er war es auch, der die erste 3-D-Installation der Band Kraftwerk in einem Museum präsentierte und die Kunst selbstbestimmter Frauen ins Blickfeld rückte. So zum Beispiel in der ersten Ausstellung, die Mühling als Direktor 2014 verantwortete; Werke von Florine Stettheimer (1871-1944) wurden da gezeigt, einer New Yorker Malerin, die zeitweise in München gelebt hatte.
Ausdruck des Spagats zwischen altehrwürdiger Tradition und avantgardistischem Selbstverständnis ist auch die Architektur. Um den Anforderungen an ein zeitgemäßes Museum gerecht zu werden, wurde das Lenbachhaus nach Plänen des britischen Architekturbüros Foster + Partners von 2009 bis 2013 generalsaniert, mit dem alles überstrahlendem goldenen Kubus als Hingucker. Kunstfreunde aus aller Welt machen seitdem vor der glänzenden Kulisse Selfies – und lassen sich gerne im Museumsrestaurant Ella nieder. Mit dem Kosenamen „Ella“ bezeichnete Wassily Kandinsky einst seine Lebensgefährtin Gabriele Münter… .
Was von 100 Tagen übrigblieb
Lenbachhaus und documenta – das ist ein eigenes Thema. Den Anfang machte – wie könnte es anders sein – der Blaue Reiter. Für die ersten drei documentas 1955, 1959 und 1964 verlieh das Münchner Museum etwa Gabriele Münters „Stillleben Grau“ (1910) oder Franz Marcs „Rehe im Schnee II“ (1911). Gleichzeitig ließ sich das Lenbachhaus auch immer von der documenta inspirieren: So wurden zum Beispiel Fritz Koenigs Skulptur „Großes Votiv K“ (1963/64) und Asger Jorns Gemälde „They never come back“ (1958) angekauft.
Wie sehr die Kunstmesse das Haus am Königsplatz geprägt hat, zeigt die aktuelle Sonderausstellung „Was von 100 Tagen übrigblieb“ (bis 11. Juni 2023) mit Gemälden, Zeichnungen, Fotografien, Videos und Zeitungsartikeln. Um die die Diskussionen zu der aktuellen documenta 15 geht es explizit nicht.
„Das Neue und Bewegende hat Vorrang vor allgemeiner Akzeptanz“. Mathias Mühling.
Mit dem Ankauf des Werks „zeige deine Wunde“ von Joseph Beuys (Mitte) im Jahr 1979 rückte der damalige Direktor des Lenbachhauses Armin Zweite gesellschaftliche Fragen zeitgenössischer Kunst in den Vordergrund. Der Filzanzug (links) stammt aus dem Jahr 1970
Blickwinkel zwischen Tradition und Moderne. Das Lenbachhaus eckt gerne an, zeigt inhaltlich und architektonisch klare Kante.
Ein Kunstraum mit Licht, Schatten und Möglichkeiten zur Selbstinszenierung.
Links im Blick: August Macke, Zoologischer Garten I, 1912. Unten rechts: Selbstporträts von Elisabeth Iwanowna Epstein, beide 1911.
Ist kontrovers und inspiriert: Gegenwartskunst im Lenbachhaus.
Alles, was spannend ist. Nur kein Mainstream
Oben: August Macke, Blumen im Garten, Clivia und Pelargonien, 1911. Unten: Gerhard Richter, Zwei Skulpturen für einen Raum von Palermo, 1971

Infos und Adresse
Städtische Galerie im Lenbachhaus
Luisenstraße 33 80333 München
T +49 (0) 89 233 969 33
lenbachhaus(at)muenchen.de
Öffnungszeiten
Montag geschlossen
Dienstag bis Sonntag und feiertags 10 –18 Uhr
Donnerstag 10 –20 Uhr
Eintrittspreise
Regulär 10 Euro
Ermäßigt 5 Euro
Freier Eintritt für Geflüchtete
Ausstellungstipp
Was von 100 Tagen übrig blieb …
Die documenta und das Lenbachhaus 19. Juli 2022 – 11. Juni 2023
Unter der Erde Einen Abstecher lohnt auch der 1994 eröffnete Kunstbau des Lenbachhauses.
Hier, im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Königsplatz, findet sich ein großer unterirdischer Raum für Sonderausstellungen.
