MEHR MUT ZUR WÄRME


Ein Gespräch mit Dr. Bettina Schwick M.A., NEUMEISTER-Expertin für antike Möbel, Skulpturen und Textilien

Was fasziniert Sie an antiken Möbeln, Skulpturen und Textilien?

Das sind ganz viele Aspekte: Inhaltlich interessieren mich historisches Umfeld, Entstehungskontext, soweit nachvollziehbar, und Funktion. Formal sind es die Dreidimensionalität bzw. die Haptik und Stofflichkeit, Formschönheit und Ästhetik, die Lebendigkeit des Materials Holz, wie auch die oft sehr aufwändigen handwerklichen Techniken.

Wie sind Sie zu Ihrer Profession gekommen?

Im Rahmen eines wissenschaftlichen Volontariats bei der Schlösserverwaltung BadenWürttemberg habe ich einen Bestandskatalog über französische Möbel des 18. Jahrhunderts publiziert, der mich in das Department „French and Continental Furniture“ von Sotheby’s London und später nach Zürich und Amsterdam führte. Aus familiären Gründen bin ich dann wieder nach München zurückgekehrt und konnte dort meine Anstellung bei NEUMEISTER anschließen.

 

Da scheint es Ihnen dann gefallen zu haben?

Klar, sonst wäre ich nicht schon so lange dabei! Ich liebe meinen Beruf und die Abwechslung dabei, denn in meinem Bereich ist quasi jeder Kunstgegenstand einmalig und hat seine eigene Geschichte. Das kann oft sehr spannend sein und beinahe detektivische Recherche erfordern, und fast immer lerne ich wieder etwas dazu.

Welche Epoche mögen Sie besonders?

Das 18. Jahrhundert wegen der Bandbreite an unterschiedlichen Stilen und Formgebungen – die organischen, manchmal fast bizarren Formen des Rokoko oder die Strenge des Klassizismus mit seinen Rückgriffen auf die Antike begeistern mich immer wieder.


 

PIETÀ
Wohl Salzburg, um 1430 

 

 AUKTION 409 // LOS 122
SCHÄTZPREIS € 15.000 – 20.000


 

MONDSICHELMADONNA
Niederbayern, Hans Leinberger (um 1470/80 Landshut? - nach 1531 ebenda), Umkreis, um 1520 

 

  AUKTION 409 // LOS 125
ERGEBNIS € 3.900 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

In welche Interieurs fügen sich Möbel, Skulpturen und Textilien besonders gut ein?

Grundsätzlich ist das natürlich immer (Zeit) geschmackssache: Früher richtete man sich ganze Zimmer in einem Stil ein, heute sucht man eher den Kontrast zu zeitgenössischen Einrichtungsgegenständen. Persönlich finde ich, dass unseren heutigen, vom Bauhaus geprägten manchmal etwas „unterkühlten“ Interieurs die Wärme und Lebendigkeit von Antiquitäten oft sehr gut tun!

 

Warum sollte man antike Möbel und Skulpturen erwerben?

Antike Möbel und Skulpturen, auch Textilien, sind oft meisterhaft gearbeitete Zeugnisse einer – teilweise gar nicht mehr existenten– Handwerkskunst, sie haben Jahrhunderte überdauert und sind Bestandteil unseres kulturellen Erbes. Zumeist handelt es sich um Unikate. Und sie entsprechen absolut unserer heutigen Forderung nach Nachhaltigkeit! NEUMEISTER hat in diesem Bereich aufgrund seiner Expertise und internationalen Vernetzung seit jeher einen sehr guten Ruf.

 

Wer kauft antike Möbel, Skulpturen und Textilien?

Nach wie vor gibt es Connaisseure und Sammler, vor allem im Bereich Skulpturen und antike Möbel. Antiquitäten und Einrichtungsgegenstände werden auch häufig von Privatleuten für die eigene Wohnung ersteigert. Textilien – hier handelt es sich nicht um Orientteppiche, sondern um Tapisserien und Textilien wie etwa Paramente (liturgische Textilien) – sind dagegen schon ein sehr spezielles Gebiet mit einem überschaubaren Interessentenkreis.

Was sollte man beim Kauf von Möbeln, Skulpturen und Textilien beachten?

Neben der künstlerischen oder handwerklichen Qualität eines Kunstobjekts sollte man dessen Erhaltungszustand beachten: Sind historische gealterte Oberflächen erhalten, was ist beschädigt, gegebenenfalls restauriert oder ergänzt? Als Auktionshaus geben wir Kunstobjekte in der Regel im Ist-Zustand weiter; daher kann durchaus auch die Frage nach einer möglichen Restaurierung aufkommen. Als Expertin stehe ich dem Kunden in diesen Fragen informierend und beratend zur Seite.

 

Welchen Rat geben Sie dann zum Beispiel?

Kunden erhalten von mir zum Beispiel Tipps zu konservatorischen Bedingungen bei der Aufstellung daheim. Es weiß ja nicht jeder, dass eine Luftfeuchtigkeit von ca. 50 Prozent und eine Raumtemperatur von ca. 20 Grad Celsius ideal für Antiquitäten sind. Auch vor starkem Lichteinfall sollte man die guten Stücke schützen.

 

Was ist die Kaufmotivation, zum Beispiel bei gotischen Madonnenfiguren?

Aus religiösen Gründen wird heute sehr selten gekauft, meist sind skulpturale Qualität und kunsthistorische Bedeutung ausschlaggebend. Dennoch wird durchaus auch heute eine spirituelle Ausstrahlung an Skulpturen wahrgenommen, die zum Kauf motivieren kann.

 


SCHRANK
MAINFRANKEN/RHEINPFALZ, MITTE 18. JH.

Furnier Nussbaum, Nussmaser, Ahorn.
232 × 180 × 65 cm

AUKTION 409 // LOT 133
ERGEBNIS € 26.000 (inkl. 30 % Käuferaufgeld)

Was war in Ihrem Bereich das teuerste Objekt, das in den letzten zwei Jahrzehnten bei NEUMEISTER versteigert wurde?

Das dürfte bei den Möbeln eine Rokoko-Aufsatzkommode des Dresdener Kunsttischlers Michael Kimmel gewesen sein, die im Jahr 2000 für 800.000 D-Mark zugeschlagen wurde. Bei den Skulpturen brachte 2019 eine spätgotische Beweinungsgruppe des Südtiroler Bildhauers Hans Klocker 279.400 Euro.

 

Hat sich das Bieterverhalten im Laufe der Zeit geändert?

Auch in meinem Bereich – dreidimensionale Objekte sind ja doch etwas schwieriger darzustellen – nehmen Online-Bieter aus aller Welt zu, die im Vertrauen auf unsere Expertise ohne Besichtigung des Originals kaufen.

 

Was ist Ihr Tipp für die kommende Auktion?

Mein Lieblingsobjekt ist ein ganz herausragend mit Wellenprofilen dekorierter Leipziger Archivschrank, der 33 nummerierte Schubladen aufweist. Selten sind auch seine Datierung (1707) und der authentische Erhaltungszustand. Museumswürdig, wie ich finde.

 

Haben Sie selbst schon mal etwas ersteigert?

Antiquitäten aus unterschiedlichen Epochen – von der Barockvitrine bis zum Designersessel. Gerne würde ich mir eine Tapisserie aufhängen, aber da streikt die Familie.

 

Sind Möbel, Skulpturen und Textilien wertstabil? Eignen Sie sich als Anlage?

Wertstabil – und dies gilt für alle Bereiche der sogenannten Alten Kunst – sind qualitativ herausragende Kunstgegenstände namhafter Kunsthandwerker oder Künstler. Eine mittlere Qualität, die vor etwa drei bis vier Jahrzehnten noch teuer gehandelt wurde, lässt sich heute häufig nur noch über einen attraktiven preislichen Ansatz verkaufen. Als Anlage eignen sich – im Gegensatz zur Klassischen Moderne oder zeitgenössischen Kunst – daher antike Möbel und Skulpturen nur bedingt.

 

Kann man Antiquitäten aus NEUMEISTER - Auktionen auch in Museen zu bewundern?

Ja, Zum Beispiel in nationalen Museen wie dem Bayerischen Nationalmuseum München, dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart – wie auch in internationalen Institutionen von der Schweiz bis in die USA.

 

Dann treffen Sie in Museen auch schonmal auf „alte Bekannte“?

(lacht).
Das kann durchaus sein. Aber auch ungeachtet dessen besuche ich Museen sehr gerne. Hier in München fasziniert mich vor allem das Bayerische Nationalmuseum mit seinen wunder - baren Sammlungen, gerade auch in Hinblick auf Skulpturen. Auch Schlossmuseen wie die Residenz oder Nymphenburg liebe ich, denn dort kann man Meisterwerke der Möbelkunst von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert bewundern. 

LEIPZIGER ALLERLEI

WELLENSCHRANK, Leipzig, dat. 1707