FAKTEN-CHECK AUF DEN SPUREN DER KUNSTSAMMLUNG VON OSKAR SKALLER


Von Dr. Monika Tatzkow

„... ich bin immer noch hinter dem Mädchenakt von Lovis Corinth her“ .
Als sich der Berliner Immobilienmakler, Grundstücksbesitzer und Raubkunstkäufer Dr. jur. Conrad Doebbeke unter Berufung auf die Gestapo im Januar 1942 mit diesen Worten an den Rechstbeistand des Eigentümers Oskar Skaller wandte, war Skaller bereits ausgewandert, ausgebürgert und enteignet.

 

Ihr für die Mitnahme in das Exil vorgesehenes Umzugsgut wurde von der Gestapo beschlagnahmt und zu Gunsten des Deutschen Reiches versteigert. Den entsprechenden Auftrag erteilte die „Dienststelle für die Einziehung verfallener Vermögenswerte“ des Finanzamtes Berlin-Moabit dem „vereidigten und öffentlich bestellten Versteigerer für Groß-Berlin“, Bernhard Schlüter. Sein Versteigerungsprotokoll vom 16.01.1942 enthält unter anderem das Skaller Porträt von Max Liebermann, das für 1.000 Reichsmark an den Berliner Möbelhändler Max Rudolph ging. Es hat den Krieg überdauert, sein heutiger Standort ist bislang unbekannt.

Der ebenfalls beschlagnahmte „Liegende Akt“ von Lovis Corinth war nicht enthalten. Offensichtlich hatte Conrad Doebbeke mit seiner Jagd auf das Bild Erfolg. In einer Einzelauktion konnte er es von Bernhard Schlüter für 8.000 Reichsmark erwerben. Nach Einbehalt von 10 % Provision führte Schlüter „in Sachen Oskar Israel Skaller“ dienstbeflissen den Erlös an die Oberfinanzkasse Berlin ab.

Oskar Skaller starb wenige Monate nach seiner Frau am 21. Oktober 1944 in Johannisburg in ärmlichsten Verhältnissen.

 

Oskar Skaller.
Foto: Eberle

Der 1874 in Ostrowo im heutigen Polen geborene Apotheker, Fabrikant, Politiker und Kunstsammler Oskar Skaller war Jude. Er wohnte mit seiner Ehefrau Lea geb. Herbst und seinen beiden Töchtern Hannah (geb. 1902) und Marianne (geb. 1910) in Berlin in der Schlüterstraße 45, dem später namhaften Hotel Bogota, führte dort ein offenes Haus, wo sich Vertreter aus Wirtschaft, Kunst, Politik und Gesellschaft trafen.

Oskar Skaller legte nach der Gründung einer ersten Apotheke in Berlin einen erfolgreichen Weg als Unternehmer zurück, erwarb einige Firmen, gründete die Skaller AG und war Mitglied verschiedener Aufsichtsräte.

Über seine wirtschaftlichen Aktivitäten hinaus war der Unternehmer auch öffentlich engagiert als Vertrauensapotheker der Ortskrankenkasse, Mitglied der SPD, Stadtverordneter in BerlinCharlottenburg und in Unternehmerorganisationen wie dem Verein Berliner Kaufleute, dessen Vorstand er angehörte.

Als Kunstsammler trat Oskar Skaller auf zwei Gebieten besonders hervor. Er besaß eine umfangreiche Kollektion altpersischer Keramik, die er 1927 zum größten Teil veräußerte, denn das eigentliche Sammelgebiet Skallers war die Malerei. Hier sind bereits 1910 Ankäufe nachgewiesen. Neben Werken alter Meister besaß er Gemälde französischer und deutscher Impressionisten (van Gogh, Toulouse-Lautrec, Courbet, Daumier, Utrillo, de Vlaqminck, Corot, Corinth, Rayski, Liebermann, Leistikow und viele andere).

Die Sammlung Skaller hatte einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Sie wurde in der Zeitschrift „Kunsthandel und Kunstbesitz“ 1927 beschrieben.1 Skallers Leihgaben sah man auf Ausstellungen, z. B. in der Berliner Nationalgalerie (1921 van Gogh, 1931 Maria Slavona), im Kronprinzenpalais (1923 Corinth „Liegender Akt“) und in der Galerie Matthiesen in Berlin (1924 Toulouse-Lautrec). Der Kunstkritiker Adolph Donath widmet sich der Sammlung Skaller in seiner Publikation „Der Berliner Kaufmann als Kunstfreund“ von 1929. Er teilt mit, dass Oskar Skaller zu jenen Persönlichkeiten gehörte, die von Max Liebermann porträtiert wurden.

In den Krisenjahren 1929 bis 1932 verkaufte Skaller wie viele Sammler einige Kunstwerke. Vielleicht befand sich der „Akt“ zur Ansicht eine Zeitlang bei dem österreichischen Journalisten und Verleger Felix Stössinger, der von 1914 bis 1934 in Berlin lebte. So wie Charlotte BehrendCorinth es vermerkte. Verkauft wurde er jedoch nicht. Skaller verließ die Schlüterstraße 45 und zog in die Württembergische Straße 36. Da Skaller jedoch nicht seine gesamte Kollektion veräußerte, besaß er auch nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten bedeutende Kunstwerke.

Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft trafen die antijüdischen Restriktionen auch Oskar Skaller. So war er 1933 im Zusammenhang mit der Boykottierung und Arisierung einer seiner Firmen (M. Pech AG) zeitweilig inhaftiert, musste zwangsweise Anlagebeteiligungen verkaufen, wurde zu Sicherheitsleistungen für die Reichsfluchtsteuer gezwungen und hatte die Judenvermögensabgabe von über 45.000 RM zu leisten

Etwa vier Wochen vor seiner Auswanderung wurde die Wohnungseinrichtung Oskar Skallers in der Württembergische Straße 36 durch das Berliner Auktionshaus Rudolf Harms am 13.06.1939 als „freiwillige, nichtarische Auflösung“ zur Versteigerung angeboten: ein elegantes Esszimmer, ein Luxus Schlafzimmer, Barock- und Biedermeiermöbel, ein Bechsteinflügel, Bücher, altpersische Fayencen und „viele Gemälde“, darunter das Skaller Porträt von Max Liebermann und die „Wolkenschatten“ von Walter Leistikow. Liebermanns Porträt erhielt zunächst keinen Zuschlag. Die „Wolkenschatten“ von Leistikow gelangten über den Erwerber auf dieser Zwangsversteigerung an das Bröhan Museum in Berlin, das mit einem Rückerstattungsanspruch der Skaller Erben konfrontiert ist und sich in einer mehrjährigen Überprüfung befindet.

Im Juli 1939 gingen Oskar Skaller und seine Ehefrau Lea in die Emigration nach Südafrika, wo die Töchter schon lebten. Den Weg dorthin trat das Ehepaar völlig mittellos an.

 

Bernhard Schlüter, der als Inhaber eines Auktionshauses in der NS-Zeit Nutznießer der Verwertung jüdischen Vermögens war, setzte nach dem Krieg seine Kariere unbehelligt fort und wurde skandalöser Weise in Wiedergutmachungsverfahren jüdischer Betroffener als Sachverständiger eingesetzt, wobei er in seiner Bewertung regelmäßig den Verschleuderungserlös aus der Nazi-Zeit zugrunde legte – unter Abzug seiner damaligen Provision. 1961 wurde Schlüter in Berlin sogar erneut als Versteigerer vereidigt.3

Conrad Doebbeke, seit 1931 Mitglied der NSDAP, hatte während der NS-Zeit in großem Stil Kunstwerke angekauft, vorwiegend aus jüdischem Besitz. Elsa Doebbeke gab nach dem Krieg 1955 an, dass Juden ihr und ihrem Mann das Haus einliefen, um Bilder zu verkaufen.4 Insgesamt umfasste die Sammlung zu Kriegsende hunderte Kunstwerke. Ab 1944 verlagerte Doebbeke sie sukzessive nach Westdeutschland und brachte sie bei Banken und in Museen unter. Einige wenige Kunstwerke wurden von den Alliierten beschlagnahmt, dann jedoch angesichts diffuser Angaben Doebbekes allesamt freigegeben.

 

Ab 1948/49 begann Doebbeke damit, seinen Gemäldeschatz zu versilbern und bot insbesondere dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover eine erkleckliche Anzahl an. Und die Stadt Hannover kaufte für mehr als 300.000 DM, ohne sich für die Herkunft der Kunstwerke zu interessieren. Auch als Doebbeke den damaligen Museumsdirektor Ferdinand Stuttmann dringend empfahl, eine „Sonderausstellung“ der Neuerwerbungen zu vermeiden, den Namen Doebbeke nicht zu erwähnen und „abzuwarten, bis die Fristtermine des Wiedererstattungsgesetzes abgelaufen sind“5 , wurde man nicht hellhörig. Stuttmann selbst hatte aus jüdischen Sammlungen für sein Museum gekauft und war mit der Praxis der Verschleierung bestens vertraut.6 Das Landesmuseum unterstützte Elsa Doebbeke auch nach dem Tod des Ehemannes bei Verkäufen und verwaltete die Restsammlung treuhänderisch.7

Ende der 1950er Jahre unternahmen die Doebbeke Erben (die Witwe Elsa und der Sohn Tomy) einen weiteren Verkaufsversuch und lieferten 185 Kunstwerke im Oktober 1958 beim Kölner Auktionshaus Lempertz ein, wo man sich ebenso wenig für die Provenienz interessierte wie in Hannover. Was dort keinen Käufer fand tauchte Ende Mai 1959 bei Ketterer in Stuttgart auf.

Die Restitutionsanträge und Korrespondenz jüdischer Betroffener und ihrer Erben auf Kunstwerke im Besitz Doebbeke füllen Bände. Beschä- mend ist, dass das Landesmuseum Hannover unter Ausnutzung fehlender Aussagen Doebbekes und mit unter nicht vorhandener Nachweise der jüdischen Familien diverse Rückerstattungsanträge ablehnt. 8

Conrad Doebbeke war insbesondere „hinter [Werken] von Lovis Corinth her“. Mit etwa vierzig Gemälden bilden die Arbeiten Corinths die größte Gruppe in seiner Sammlung, für einige ist der jüdische Vorbesitz eindeutig nachgewiesen.9 Das gilt auch für den „Liegenden Akt“ aus der von der Gestapo beschlagnahmten Sammlung Oskar Skallers, den Doebbeke seit 1942 besaß. Dieses Gemälde war nicht in den Auktionen bei Lempertz 1958 und bei Ketterer 1959. Es befand sich bis 1960 als Depositum des Nachlasses Conrad Doebbeke im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover. Am 12.02.1960 wurde es dort von Elsa Doebbeke abgeholt.10 Bislang ist unbekannt, ob Elsa Doebbeke oder ihr Sohn Tomy den „Liegenden Akt“ von Corinth danach veräußerten. Er wurde als Nr. 1354 am 16.09.1977 im Münchener Kunstversteigerungshaus Adolf Weinmüller Neumeister KG zur Versteigerung angeboten und verkauft.

Nun ist dieses Gemälde wieder aufgetaucht und es ist erfreulich, dass endlich, auf der Grundlage der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung und mit Unterstützung des Auktionshauses Neumeister, München, eine einvernehmliche Regelung zwischen dem Besitzer und den Erben Skaller gefunden ist.

1 Fritz Nemitz: Die Sammlung Oskar Skaller. In: Kunsthandel und Kunstbesitz, H 2/1927 S. 51ff.

2 Adolph Donath: Der Berliner Kaufmann als Kunstfreund, in: Max Osborn: Berlins Aufstieg zur Weltstadt, Berlin 1929; Matthias Eberle: Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II 1900 — 1935, München 1996, Nr. 1924/11.

3 Bernd Reifenberg: „Ich verwehre mich auf das Energischste“, Universität Marburg 2007 - ; Caroline Flick: Helene Haases „Hagemeister“, Berlin 2018, S. 36, 38.

4 Michael Dorrmann: Ein Corinth aus der Sammlung Glaser. Das Gemälde „Römische Campagna“, in: Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, S. 58.

5 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 457 Acc. 2006/013, Nr. 60.

6 Cornelia Regin: Erwerbungen der Stadt Hannover. Die Sammlung Doebbeke als Beispiel einer problematischen Provenienz. Ergebnisse einer Aktenrecherche, in: Hannoversche Geschichtsblätter, 2006.

7 Stefan Koldehoff: Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der Raubkunst, Frankfurt am Main 2009, S. 137 ff. („Bis dahin wollen wir die Sachen lieber in den Kisten lassen“. Conrad Doebbeke, Lovis Corinth und das Niedersächsische Landesmuseum)

8 So z. B. in den Fällen: Sammlung Margarethe Hamburger, Berlin „Ottchen mit Mutter“ 1905; Sammlung Max Levy, Berlin „Bunte Wicken und Rosen, Erbsenblüten“ 1913; Sammlung Max Ginsberg, Berlin „Die Kegelbahn“ 1913; Alfred Lachmanski, Königsberg „Landschaft bei Horst“ 1903.

9 Siehe Fußnote 8 sowie weitere jüdische Sammlungen wie z. B. Ismar Littman und Leo Smoschewer, beide Breslau; Leo Nachtlicht, Berlin. 10 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 457 Acc. 2006/013, Nr. 61

LOVIS CORINTH
LIEGENDER WEIBLICHER AKT
NACKTER WAHNSINN
Von Katja Kraft
HIGHLIGHTS MODERNE
CONTEMPORARY ART