MEISTER SCHREINER

WIE DAVID ROENTGEN DIE FÜRSTENHÖFE EUROPAS AUFMÖBELTE

 

Wer einen künstlichen Schreibtisch von Röntgen gesehen hat, wo mit einem Zug viele Federn und Ressorts in Bewegung kommen, Pult und Schreibzeug, Brief- und Geldfächer sich auf einmal oder kurz nacheinander entwickeln, der wird sich eine Vorstellung machen können, wie sich jener Palast entfaltete, in welchen mich meine süße Begleiterin nunmehr hineinzog.“

Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre. Die schöne Melusine

EBENISTEN WERDEN KUNSTTISCHLER AUCH GENANNT – DAVID ROENTGEN WAR IN SEINER ZEIT EINER DER BESTEN.

Das vom Vater übernommene Unternehmen machte er mit Instinkt für Geschmack, schnellem Reagieren auf aktuelle Stilrichtungen und Reisen an Europas Fürstenhöfe zum Global Player. Zeitweise zählte sein Unternehmen in Neuwied über 100 Mitarbeiter. Zur Perfektionierung der Möbel arbeitete Roentgen mit Meistern des Fachs und Künstlern zusammen, unter ihnen der Vergolder François Rémond, der Intarsienschneider Johann Michael Rummer, die Maler Januarius Zick und Johannes Juncker sowie der geniale Uhrmacher Peter Kinzing. Feudale Prunkschreibtische, Kabinettsschränke, Kommoden und Bodenuhren: Roentgen hatte ein feines Gespür für Moden und traf den Geschmack wohlhabender Bürger und des trendbewussten Adels. Bald belieferte seine Manufaktur fast alle Fürsten- und Königshäuser Europas mit ihren Luxusmöbeln. Die Kundenliste kam dem Who is Who der damaligen Zeit gleich: König Friedrich Wilhelm II. von Preußen liebte Roentgens Möbel und ernannten ihn zum „Geheimen Kommerzienrat“. Frankreichs König Ludwig XVI. und Gattin Marie Antoinette waren nicht minder angetan, verliehen dem Deutschen sogar den Ehrentitel „Ébéniste Mécanicien du Roi et de la Reine“. Hunderte seiner Möbel verkaufte der umtriebige Kunstschreiner an den Zarenhof und an den russischen Hochadel. Es waren nicht nur die ausgesuchten Materialien und das vorzügliche Handwerk, das die Zeitgenossen begeisterte, sondern auch die ausgeklügelten technischen Spielereien. Und vor allem bei den Schreibschränken zeigte Roentgen, was machbar war. Er versah sie mit zahlreichen Schubläden, Spiegeln, raffiniert angelegten Geheimfächern, aufklappbaren Schreibflächen , eingebauten Uhren, Spiegeln und musikalischen Spielwerken – mechanische Wunderwerke, die auch Johann Wolfgang von Goethe, der Roentgens Werkstatt in Neuwied im Juli 1774 besuchte, ins Schwärmen brachte. Doch der Geschmack änderte sich, und mit der Französischen Revolution brach der adlige Absatzmarkt vollends zusammen. Roentgen starb 1807, viele seiner künstlerisch gestalteten Möbel überlebten. Von den insgesamt etwa 2.000 Möbeln, die Roentgens Werkstatt in Neuwied zwischen 1742 und 1794 verließen, sind etwa 600 erhalten. Sie befinden sich heute weltweit in bedeutenden Sammlungen und großen Museen und erzielen auf Auktionen Höchstpreise

 

Die weltweit größte Sammlung von Roentgen-Möbeln nach der Ermitage in St. Petersburg befindet sich heute im Roentgen-Museum Neuwied. In Räumen, die auf die Möbel abgestimmt sind, bieten zahlreiche Sekretäre, Verwandlungstische, Kommoden, Stühle und Schatullen, versehen mit kostbaren Einlegearbeiten und vergoldetem Bronzedekor sowie technischen Raffinessen, einen hervorragenden Eindruck von der Vielfalt der Neuwieder Produktion.

KLEINE MÖBEL. GROSSE GESCHICHTE

VON DR. BETTINA SCHWICK, NEUMEISTER-EXPERTIN FÜR MÖBEL, SKULPTUREN UND TEXTILIEN

 

„Ein Ebenist namens David Roetgen (sic!) aus Neuwied hat in Paris ein Depot seiner Werke eingerichtet, die hinsichtlich ihrer Ausführung die Pariser Möbel zu übertreffen scheinen. Die figürlichen Marketerien sind so gut dargestellt und so fein schattiert, dass sie gemalt scheinen. Der Reichtum der Bronzen, mit denen sie dekoriert sind, macht sie sehr teuer.“ Mit diesen Worten pries 1779 der Pariser Gesandte Baron Ulrich von Thun Herzog Carl Eugen von Württemberg (1728  – 1793) den Kunstschreiner David Roentgen in Neuwied an, dessen neuartige und innovative Manufaktur-Erzeugnisse in Europa Aufsehen erregten.

 

 

Mit Erfolg: Carl Eugen, der anderen Höfen in Sachen zeitgemäße Standesrepräsentation nicht nachstehen wollte, bezog für das Neue Schloss in Stuttgart verschiedene Möbel aus Neuwied: Ein Inventar von 1786 überliefert zwei Kommoden, eine Chiffoniere und einen Toilettetisch.

Zwischen 1794 und 1796 reiste David Roentgen persönlich mehrfach nach Stuttgart, um Carl Eugens jüngerem Bruder und Nachfolger Herzog Friedrich Eugen (1732  – 1797) Möbel im Wert von etwa 3000 Gulden aus seinem Vorrat anzubieten, jedoch offenbar ohne Erfolg; Bereits vor Ausbruch der Französischen Revolution war die Nachfrage nach Möbeln aus Neuwied infolge eines sich wandelnden Einrichtungsgeschmacks deutlich gesunken, so dass Roentgen sich schließlich gezwungen sah, den Betrieb sukzessive zu verkleinern. An welches Mitglied des Hauses Württemberg Roentgen vorliegendes Arbeitstischchen verkaufte, lässt sich nach derzeitigem Wissenstand nicht nachvollziehen.

Nachdem Schloss Carlsruhe am 8. Februar 1798 aus unbekannten Gründen niederbrannte, liegt jedoch eine Herkunft aus Württemberg näher als eine aus Schlesien. Gleiches gilt für wohl das reizvolle, mit eingelassenen kolorierten Grafiken dekorierte Nachttischchen, als dessen Urheber Johannes Klinckerfuß, einer der Schüler Roentgens, vermutet werden kann.

Nach Ausbildung in der väterlichen Werkstatt in Bad Nauheim und Mitarbeit in der Neuwieder Manufaktur kam Klinckerfuß auf Empfehlung Roentgens an den Hof von Herzogin Friederike Dorothea Sophie von Württemberg (1736  – 1798) in Bayreuth. Hier leitete er bis 1797 die Möblierung von Schloss Fantaisie. Herzog Friedrich II. von Württemberg, der spätere König Friedrich I., holte Klinckerfuß nach Stuttgart und ernannte ihn 1799 zum Kabinetts-Ebenisten. Um 1800 ließ Friedrich Schloss Ludwigsburg als Sommerresidenz moderni - sieren und zog Klinckerfuß für die neuen Ausstattungen heran. Aus dieser Zeit haben sich in Ludwigsburg mehrere Möbel erhalten, deren klassizistische Auffassung und Gestaltung den Einfluss seines ehemaligen Lehrers verrät. Eigenständiges Dekorationselement Klinckerfuß‘ sind jedoch in Möbel integrierte Bilddarstellungen in Gestalt von kolorierten Grafiken oder Gouachen wie auch Porzellanplaketten, letztere auch eigenhändig bemalt von Friedrichs Ge - mahlin Königin Charlotte Mathilde (1766  – 1828). Als Vorlagen für solche Darstellungen dienten – wie auch hier – unter anderem Werke von Angelika Kauffmann, der berühmtesten Künstlerin im Zeitalter der Aufklärung und Empfindsamkeit.

Literatur Wiese, Wolfgang, Johannes Klinckerfuß. Ein württembergischer Ebenist (1770 – 1831). Sigmaringen 1988, S. 141f. – Franz, Bettina (Bearb.), Die französischen Möbel des 18. Jahrhunderts in Schloss Ludwigsburg. Schätze aus unseren Schlössern Bd. 2, hg. von den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg. Schwetzingen 1998, S. 24 Anm. 43 – Wiese, Roentgens Aufträge für das Haus Württemberg, in: Stratmann-Döhler, Rosemarie, Mechanische Wunder – Edles Holz. Roentgen-Möbel des 18. Jahrhunderts in Baden und Württemberg. Ausst. Kat. Badisches Landesmuseum Karlsruhe. Karlsruhe 1998, S. 37.